Vortrag für das Juliana-Fest des Ordens der Juliana von Norwich im Schoenstatt Retreat Center, Waukesha, Wisconsin, am 10 Mai 2003.
Was ich heute gerne tun möchte, ist es, meine Landsfrau Juliana von Norwich zu ehren, indem ich versuchen werde, etwas zu stärken, das ihr sehr am Herzen lag: die Kontemplation. Zu diesem Zweck möchte ich zunächst einen Umweg machen, um aufzuzeigen, dass der Monotheismus ohne Kontemplation gefährlich ist, und dann darüber nachdenken, warum das so ist. Ich stelle knapp ausgedrückt die Behauptung auf, dass der Monotheismus eine entsetzliche Idee aber eine wunderbare Entdeckung ist. Und so bitte ich Sie um Geduld, während ich einige Raketen starten lasse um dann zu sehen, ob sie irgendeinen Sinn ergeben.
Hier ist meine erste Rakete. Meine erste Rakete ist die Behauptung, dass es so etwas wie den Monotheismus eigentlich gar nicht gibt. Damit meine ich, dass die Vorstellung des Monotheismus etwas sehr instabiles ist, und dass wir gar nicht so richtig wissen, was wir eigentlich meinen, wenn wir darüber sprechen. Lassen Sie mich das näher erklären: Normalerweise wird der Monotheismus als das Gegenteil des Polytheismus betrachtet. Er ist die Behauptung, dass es nur einen Gott gibt und nicht mehrere Götter. Monotheismus unterscheidet sich so vom sogenannten Henotheismus, dem die Behauptung zu Grunde liegt, dass es viele Götter geben kann, aber dass man sich an einen davon halten soll. In diesem Sinn ist das Gebot „Ich bin der Herr, Dein Gott, du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ (Ex 20:2-3, Dt 5,6,7) ein henotheistisches Gebot, kein monotheistisches. Anders ausgedrückt, es geht von einer Vielzahl von Göttern aus und behauptet dann einfach, dass man sich an diesen einen zu halten habe. In unserer Standardbeschreibung der Geburt des jüdischen Monotheismus, der ich mich später noch zuwenden möchte, sind die Hauptpunkte die Verse von Deuterojesaja, die geschrieben wurden, nachdem der Kyros-Zylinder die Rückkehr aus dem babylonischen Exil verkündete, die eindeutig aussagen „ich bin der Herr, es gibt keinen anderen“ (Jes 45:18f). Anders gesagt, es gibt nicht noch andere Götter, es gibt nur einen Gott.
Ja, und genau dort finden wir auch die erste Instabilität. Was versteht man im Monotheismus unter „einem“? Bedeutet es „einer“ gegenüber zweien oder dreien oder neunundsiebzig? In welchem Fall die Eins eine Zahl wäre, die anderen Zahlen gegenüberstünde. Da man immer dann, wenn man etwas im Gegensatz zu etwas anderem definiert sagen kann, dass es dem Ding mehr ähnelt, als dass es sich von ihm unterscheidet, müsste man in dem Fall sagen, dass der „eine“ Gott nicht mehr ist, als ein einzigartig großes, mächtiges, etwas einsames Mitglied der Serie der „Götter“, deren andere Mitglieder als nicht existierend erklärt wurden.
Es gibt aber noch eine andere Bedeutung des Wortes „eins“, die genau genommen gar keine numerische Komponente hat. Und zwar, wenn es den „einen Gott“ gegenüber dem „Nichts“ gibt. Anders ausgedrückt ist das „Eine“ dann mehr das Ausrufen von „es ist!“ als das Ausdrücken einer Zahl. Der Ausruf „da ist!“ gegenüber „da ist nichts!“ Nun, genau wie die Zahl „eins“ den anderen Zahlen, die sie ersetzt ähnlicher ist, als ihre Unterscheidung von diesen Zahlen, so ist der „eine Gott“ dem ihm gegenüberstehenden „gar nichts“ ähnlicher, als er irgendetwas ähnlich ist. Anders ausgedrückt, und dem Verständnis des „Mono“ im „Monotheismus“ folgend, ist Gott eher wie „gar nichts“, als dass er wie „einer der Götter“ wäre.
Und das genau ist das Genie des monotheistischen Judentums: Die Realisierung, dass der „eine Gott“ eher wir „gar kein Gott“ ist, als wie „einer der Götter“. Mit anderen Worten, ein unwahrer Atheismus gibt uns ein viel weniger unangemessenes Bild von Gott als ein wahrer Theismus. Für das monotheistische Judentum, wie für den monotheistischen Katholizismus, den ich für das universelle Judentum halte, ist die Hauptversuchung nicht der Atheismus sondern die Idolatrie.
Meine zweite Rakete, die ich hier starten lassen möchte, betrifft das, was daraus folgt: die Gefahr des Monotheismus. Wie bereits gesagt, stelle ich knapp ausgedrückt die Behauptung auf, dass der Monotheismus eine entsetzliche Idee aber eine wunderbare Entdeckung ist. Lassen Sie mich das erläutern: Man kann sich keine wirklich gute Vorstellung von etwas machen, das eher wie nichts ist, als wir irgendetwas. Ich meine, wie soll das denn sein, eine Vorstellung des Nichts zu haben? Wenn wir also eine Vorstellung vom Monotheismus haben, dann tendiert diese dazu, vom Gedanken des Einen gegenüber Vielen untermauert zu sein, oder gegenüber Keinem, als ob Keiner nicht mehr als eine weitere Zahl wäre, aber eine furchterregende negative, nicht existierende Art von Zahl. Anders ausgedrückt, ist der Teil des „Demgegenüber“ nicht von unserer Vorstellung des „Einsseins“ zu trennen. Und hier, behaupte ich, wird die Sache gefährlich. Denn wenn es einen Gott gibt, der nicht einer der Götter ist, der nicht auf der gleichen Ebene ist, wie alles, was es gibt, dann ist es natürlich richtig zu sagen, dass es in Gott kein „Demgegenüber“ gibt. Mit anderen Worten, es besteht keine Rivalität zwischen Gott und allem, was ist. Was bedeutet, dass wann immer wir in unseren Gedanken über Gott ein noch so geringfügiges „Demgegenüber“ denken, genau dieses „Demgegenüber“ Gott zu einer Art „Gott unter Göttern“ reduziert und das gleiche „Demgegenüber“ umgehend soziologische Konsequenzen hat.
Sehen wir uns eine ziemlich standardmäßige soziologische Beschreibung der großen monotheistischen Religionen an (und heutzutage bestätigt ein kurzer Blick auf die Anzeigen der Herausgeber im New Yorker Review of Books, dass es eine Vielzahl derartiger Beschreibungen gibt).
Ich denke, dass in einer typischen Darstellung, die sich in jeder der drei großen monotheistischen Kulturen finden lässt, der Jüdischen, der Christlichen und der Islamischen, der Eine Wahre Gott eine Botschaft übermittelte: Thora, vom Neuen Testament oder vom Koran interpretierte Thora. Die Botschaft, die selbst auch die Eine und Wahre ist, und die niedergeschriebene Botschaft werden vom einen wahren und definitiven Botschafter garantiert: Moses, Jesus oder Mohammed. Ich möchte nicht sagen, dass dies die Struktur jeder der monotheistischen Kulturen ist, sondern nur, dass sich unter bestimmten Umständen die Anhänger jeder religiösen Kultur so verhalten können, als sei dies die Struktur ihrer „Religion“. Während andere Mitglieder der Gruppe diese Anhänger gelegentlich für extremistisch halten, ist es doch oft so, dass die anderen Mitglieder der Gruppe sich davor fürchten, nahezulegen, dass die Anhänger grundsätzlich unrecht hätten.
Es scheint so zu sein, dass sich die gleiche Struktur danach in jeder dieser Gruppen immer wieder wiederholen kann: „Wir“ sind das Volk, das vom einen wahren Gott die Botschaft erhielt und unter ihr leben, und die Form in die wir unter ihr leben ist derart, dass wir die Einzigartigkeit Gottes schaffen, indem wir ein starkes Gespür für das entwickeln, was anders als „wir“ ist – bei den Juden die Heiden, bei den Christen die ungetaufte „Welt“, bei den Muslimen die Ungläubigen, die nicht Mitglieder der Umma sind. Mit anderen Worten, wir werden zum Arm des „ichs“ des einen Gottes, dessen Botschaft wir erhielten, und es ist unsere Aufgabe, die anderen aus ihrem Anderssein heraus zum Gehorsam zu bringen (oft ist das Anderssein entweder böse, oder unrein, oder beides), oder zumindest den Unterschied zwischen uns und den anderen beizubehalten und, wenn sie mächtiger sind als wir, den leidenschaftlichen Widerstand gegen deren Assimilation zu fördern.
Was ich hier behaupten möchte ist, dass ein derartiges Verständnis des Monotheismus, „Gottes“ und seines „Botschafters“ effektiv eine Funktion der Gruppe ist, da es den Zusammenhalt der Gruppe gewährleistet, indem es einen Fixpunkt bereitstellt, etwas Totemisches, um das sich die Menschen versammeln und das ihnen ein starkes Gefühl der Richtigkeit vermittelt, da sie in der Lage sind, die Botschaft gegen den bösen „anderen“ zu interpretieren. Nun beachten Sie bitte, was das bedeutet. Es bedeutet, dass es tatsächlich in der Geschichte keinen wirklichen „anderen“ gibt. Gott und sein Botschafter fungieren lediglich zur Verstärkung der Schöpfung eines „anderen“ demgegenüber „wir“ uns vereint und von Gott gesegnet fühlen können et cetera, et cetera. Und das bedeutet ,dass dieses „andere“ nichts weiter als eine Funktion des „wir“ ist, und dass es in der Tat ein notwendiger Teil des „wir“ ist, sozusagen seine Umkehrseite, seine Schattenstellen. Wenn es keinen „anderen“ gäbe, dann würden „wir“ auseinanderfallen, in Anomieversinken, bedeutungslos werden.
Eine typische Art, eine derartige Unterstellung des funktionalen Atheismus gegen diese Art des Monotheismus zu beantworten wäre es zu sagen: „Aber die Botschaft selbst ist das Zeichen eines wahren Anderen, eines ‚anderen Anderen‘, wenn Sie so wollen, der nicht Teil des ‚wir‘ ist, der zu uns sprach und uns eine neue Perspektive aufzeigte, aufgrund derer wir recht haben, uns auf diese Art aufzubauen: es ist das, was uns zu tun aufgetragen wurde.“ Das Problem mit diesem Ansatz ist, dass er der Entdeckung nicht widersteht, dass die Interpretation alles ist. Eine Botschaft und ein sie garantierende Botschafter sind nichts weiter als Alibifunktionen. Anderes sind sie nur in dem Umfang, in dem sie von der sowohl die Botschaft als auch den Botschafter interpretierenden Gruppe am Leben erhalten werden. Das bedeutet, anders ausgedrückt, dass eine schriftliche Botschaft und ein sie gewährleistender Botschafter aus sich selbst heraus keinen Wert haben, wenn es darum geht, das authentische „Anderssein“ der an die jeweilige Gruppe gerichtete Stimme zu gewährleisten, da sie nur in dem Maß in der Gruppe am Leben erhalten werden, wie diese Gruppe sie interpretiert. Und das bedeutet, dass die Gegenwart des „anderen Anderen“, sollte es sie denn geben, nur in der Interpretation der Gruppe zu finden ist. Wo immer aber die Interpretation einer Gruppe dadurch funktioniert, dass sie ein „wir“ gegenüber einem notwendigen „denen“ erschafft, haben wir guten Grund daran zu zweifeln, dass irgendetwas anderes am Werk ist, als der Geist des Gruppenaufbaus gegenüber dem Anderen, was genau das ist, was man unter funktionalem Atheismus versteht. Er ist überall dort, wo ganz gleich welche Behauptungen über eine Göttlichkeit aufgestellt werden, das einzige erkennbare wirkliche „Andere“ das soziale Andere ist, gegenüber dem das „wir“ aufgebaut wird, und das nichts weiter als eines Funktion dieses „wir“ ist.
Falls das etwas zu kondensiert gewesen sein sollte, lassen Sie mich anhand von ein, zwei Beispielen skizzieren, was ich meine: Eine der stärksten Arten, die Einigkeit einer Gruppe zu bewahren, die ihrem Gott gegenüber loyal ist, ist es feststellen und verkünden zu können, auf welche Art diese Gruppe zum Opfer gemacht wird. Anführer einer monotheistischen Gruppe oder ihre Stellvertreter oder Sprecher identifizieren so typischerweise die Art, auf die die bösen „diese“ das Leben für die wahren Gläubigen unmöglich machen, und versammeln so die Menschen um ihre eigene Interpretation dessen, was eine Gruppe heil und rein macht. Dieses Bedürfnis, die Gruppe als Opfer darzustellen, kann natürlich dadurch unterstützt werden, dass es in der Tat Menschen gibt, die einige Menschen der betreffenden Gruppe unterdrücken. Denn immerhin bedeutet die Tatsache, dass ich paranoid bin ja nicht, dass die anderen nicht darauf aus sind, mich zu erledigen. Nichtsdestotrotz erfordert es eine besondere Art von Genie, eine Gruppe von Gläubigen davon zu überzeugen, dass sie selbst als Gruppe von Gläubigendas Ziel der bösen Absichten der anderen sind.
In diesem Sinn war Osama bin Laden ein einfach brillanter Wiederbeleber des Islam, als es ihm gelang, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie in ihrer Eigenschaft als Muslime vom bösen Westen und insbesondere den Vereinigten Staaten unterdrückt würden. Durch das Bombardement der Twin Towers in Manhatten provozierte er gleichzeitig eine Gegenreaktion, die seine Interpretation aufs Schönste schürte, und überzeugte so die Menschen, einschließlich einige, die die Gegenreaktion der amerikanischen Seite unterstützt hatten, dass es sich wirklich um einen Kreuzzug gegen den Islam handelte. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die von einigen evangelikalen Gruppen in den vereinigten Staaten (und sogar von einigen ihrer katholischen Imitatoren) angewandten identischen Taktiken im Zuge ihres Angriffs auf vorgeschlagene oder bestehende Gesetzgebung für die Rechte homosexueller Menschen unter dem Vorwand, dass diese eine Vorbereitung auf die Verfolgung evangelikaler Christen für ihren „biblischen“ Glauben sei, genau so erfolgreich ist und eine evangelikale Einheit und Leidenschaft fördert, die sich auf das Gefühl des Opfer seins stützt Es bleibt auch abzuwarten, inwieweit bestimmte Verteidiger des derzeitigen katholischen Kirchensystems in den Vereinigten Staaten den fortlaufenden Skandal der systematischen klerikalen Unfähigkeit, mit der Pädophilie umzugehen, als Resultat eines tiefen atavistischen anti-Katholizismus darstellen, oder als eine jüdische Verschwörung, die eine der sich für Palästina stark machenden Stimmen zu diskreditieren sucht, oder als schlicht und einfach gut orchestrierte finanzielle Gier, und die so versuchen, die katholischen Anhänger zur Verteidigung des derzeitigen ekklesiastischen Status Quo zu animieren.
Was beide Beschreibungen einer einzigartigen Gruppe inmitten einer pervertierten und bösartigen Welt, die wegen ihres wahren Glaubens verfolgt wird gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass beide monotheistisch sind, dass die von mir beschriebenen Reaktionen jedoch keinerlei Glauben erkennen lassen. Ich stelle mir vor, dass zu gleichen Zeit, zu der Osama bin Laden den Muslimen sein Metanarrativ eines bösen „diesen“, denen die Guten zu widerstehen haben offeriert, viele muslimische Gläubige gibt, die sich in Grund und Boden schämen, denn sie wissen, dass, sollte Gott wirklich wahr sein, die Übertreibung der Stärke der bösen Anderen zur Stärkung des Glaubens der Gläubigen zur schlimmsten Sorte des nihilistischen Atheismus gehört, denn sie setzt wirklich voraus, dass unser Glaube nur dadurch überleben kann, dass wir den bösen Gegner dazu bringen können, seinen Part in diesem Drama zu spielen, was letztendlich bedeutet, dass wir gar nicht an Gott glauben, sondern nur an den Konflikt. Denn wenn Gott wirklich wahr ist, dann trügt hier der Schein, denn das, was wie böse Verschwörungen der bösen Anderen aussieht, ist stark übertrieben, da Gott viel stärker ist als diese.
Gleichermaßen stelle ich mir vor, dass es evangelikale Christen gibt, die sich in Grund und Boden schämen, wenn sie miterleben, wie ihre Religion zu etwas gemacht wird, dass von einem notwendigen Feind abhängt, als ob homosexuelle Menschen, obgleich wir sündhaft sein mögen, in der Tat eine derartige Bedrohung der Ordnung und der Stabilität des Schöpfers aller Dinge darstellten, als ob die Gute Nachricht der Evangelien sich wirklich auf „ihr sollte homosexuelle Menschen hassen, und wenn ihr das erst einmal getan hat, dann sollt ihr euren Nächsten lieben, wie euch selbst“ reduzieren ließe. Und schließlich stelle ich mir vor, dass es mehr als nur ein paar katholische Bischöfe gibt, die sich in Grund und Boden schämen, wenn sie Mitbrüder und Apologeten sehen, die jeder Art von Selbstkritik gegenüber immun zu sein scheinen, und die in der Tat vor einer derartigen schmerzhaften Möglichkeit weglaufen, indem sie immer neue Versuche unternehmen, auf die bösen Anderen im Inneren und Äußeren zu zeigen.
Nachdem ich nun versucht habe aufzuzeigen, dass der Monotheismus eigentlich gar nicht als stabile Realität existiert, und das vieles, was dem typischen soziologischen Verständnis nach für Monotheismus gehalten wird gar nicht wirklich theistisch ist, sondern funktional atheistisch, möchte ich nun meine dritte Rakete starten. Das heißt, ich möchte jetzt die positive Seite der Dinge untersuchen. Nachdem ich die Behauptung aufgestellt habe, dass der Monotheismus eine entsetzliche Idee ist, hoffe ich aufzeigen zu können, dass er eine wunderbare Entdeckung ist. Integraler Bestandteil dieser Behauptung, und das werde ich stets betonen, ist es, dass der Monotheismus nur als Entdeckung wunderbar ist, und nur in dem Maße, in dem er eine Entdeckung bleibt. Wann immer sich der Status von der Entdeckung zur Idee hin verschiebt, wird er schrecklich.
Um mich dem Thema zu nähern, möchte ich zunächst auf die Standarderklärung zur Entwicklung des Monotheismus während und unmittelbar nach der Zeit des babylonischen Exils zurückkommen (und dabei über den Henotheismus hinausgehen). Die Standarderklärung, die ich selbst oft genug auf die eine oder andere Art verwendet habe, lautet in etwa so: Die jüdischen Vertriebenen in Babylon sahen sich mit zwei Möglichkeiten konfrontiert: Entweder waren Jahwe und Marduk miteinander konkurrierende Gottheiten, in welchem Fall Marduk eindeutig überlegen und Jahwe die unterlegene Gottheit war. In diesem Fall wäre es sinnvoll gewesen, sich auf die Seite der siegreichen Gottheit zu schlagen und Anbeter des Marduk zu werden. Oder Marduk war überhaupt keine Gottheit, sondern schlicht und einfach eine Funktion babylonischer Stärke und der Gruppenbildung, und Jahwe war der einzige Gott, der es aus irgendeinem Grund gestattete, dass sein Volk diese Phase der Eroberung und Sklaverei durchmachen musste. Wenn allerdings letzteres der Fall war, dann stand Jahwe überhaupt nicht in irgendeiner Opposition zu einem anderen Gott, denn es gibt keine Götter, und Jahwe ist schlicht und einfach Gott, der die Dinge ins Leben ruft, und er ist gut in der Lage, seine Macht und die Strukturen anderer Königreiche zu seinen Zwecken zu nutzen. Das literarische Moment dieses Durchbruchs findet sich in Deuterojesaja, wo wir die ersten kompromisslosen Aussagen zugunsten des Monotheismus gegenüber des Henotheismus finden.
So weit so gut. Aber diese Erklärung, die ich, wie gesagt, auch selbst oft benutzt habe, und bei der jahwistische Gläubige den funktionalen Atheismus des babylonischen Pantheons entdecken, und in der sie durch ihre eigene extreme Unsicherheit dazu gezwungen werden, eine Art Stabhochsprung auf eine höhere Ebene zu wagen, ein theologisches “aut Caesar, aut nihil”, diese Erklärung muss sich der Anschuldigung stellen, dass sie selbst Teil der gleichen funktionalen atheistischen oder soziologischen Erklärung der Entwicklung des Monotheismus ist. Es könnte sich ja schließlich um nichts weiter handeln, als eine besonders gründliche und vollständige Reaktion auf die babylonische Religion, ein Beispiel eines besonders triumphierenden Ressentiments, so triumphierend, wie die ihm entsprechende vollständige Niederlage, aus der heraus es entstanden war. Mit anderen Worten, was ich inzwischen vermute ist, dass diese Erklärung selbst eine viel zu soziologische Erklärung für die Entstehung des Monotheismus ist.
Dies vor den Augen möchte ich hier nun etwas ganz anderes vorschlagen. Und zwar etwas ziemlich Merkwürdiges – nämlich eine theologische Erklärung der Entstehung des Monotheismus. Anders ausgedrückt, den Monotheismus als Entdeckung. Und soweit ich sehen kann, ist es genau hier, dass die typische soziologische Erklärung des Monotheismus versagt. Um darüber sprechen zu können, lassen Sie mich aufzeigen, was ich für das relativ gesicherte Verständnis der Chronologie einiger der Schriften in der hebräischen heiligen Schrift halte [1]. Ich gehe davon aus, dass es zu einem gewissen Zeitpunkt in der entfernten Vergangenheit ein Buch mit dem Titel „Das Buch der 12 Propheten“ gab. Dieses Buch bestand aus zwölf relativ kurzen prophetischen Büchern, angefangen mit Amos und Hosea, den frühesten Propheten, von denen uns schriftliche Beweise vorliegen. In einer früheren Form als der uns vorliegenden, handelte es sich bei Jesaja von Jerusalem wahrscheinlich um ein kurzes Buch, wie die zwölf, die wir nun die „kleinen Propheten“ nennen, und es ist wahrscheinlich, dass die Kapitel 7 bis 12 unseres heutigen Jesaja den Kern des früheren Buchs stellten. Der frühe Jesaja scheint im Zeitraum zwischen 730 und 700 AD prophezeit zu haben, anders ausgedrückt, in der Zeit, in der das nördliche Königreich, für das der Hofprophet des Königs von Juda, Jesaja, nicht viel übrig hatte zu Ende ging.
Das Interessante dabei ist, dass dieser relativ kurze „erste Jesaja“ im Gegensatz zu Propheten wie Amos und Hosea kein kleines Buch blieb, sondern im Laufe der ca. nächsten hundert Jahre im Licht der sich ändernden Lage neu gelesen wurde, so dass zu der Zeit, als Assyrien gegen Babylon unterlag, eine neue Art des Lesens erfolgen konnte, bei der die Prophezeiungen über das erste Königreich auf das zweite angewandt werden konnten. Weitere Änderungen wurden während der Herrschaft Josias eingeführt (c. 640) und später, als das gesamte Werk mit Hinblick auf den bevorstehenden Untergang durch die babylonische Eroberung wieder neu gelesen und erweitert werden konnte, sowie das Exil selbst (vielleicht mit Hilfe eines deuteronomistischen Redakteurs). Schließlich war es der Autor, den wir den zweiten Jesaja nennen, der eine neue Lesart schaffen und im Anschluss an Kyros Bekanntgabe der Rückkehr ein ganz neues Stückhinzufügen konnte. Und so geschah es, dass die wenigen Kapitel wuchsen und zunächst ein stark überarbeitetes Buch von neununddreißig Kapiteln werden konnten, und schließlich ein noch längeres Buch von fünfundfünfzig Kapiteln.
Soweit ich weiß, hat diese kurze Beschreibung des Redaktionsprozesses nichts besonders Strittiges oder Neues an sich. Was ich nun hervorheben möchte ist etwas, wofür Worte wie „Redaktionsprozess“ Markierungen wurden, die dank ihrer Offensichtlichkeit blind machen. Dieser Redaktionsprozess erforderte, dass Menschen, Leser, Schriftgelehrte, eine Schule des Jesaja, nennen Sie es wie immer Sie wollen, etwas empfingen und verstanden und es dann über einen Zeitraum von etwa zweihundert Jahren am Leben erhielten. Und zu diesen zweihundert Jahren zählen mehr als hundertzwanzig Jahre vor dem babylonischen Exil.
Zudem geht der Redaktionsprozess davon aus, dass die Menschen an etwas arbeiteten, in dessen Zuge sie selbst der Auffassung waren, Kontinuität auszuüben, so dass sogar der letzte Redakteur des zweiten Jesajas sich als derjenige ansah, der die Blüte dessen verfasste, was viel viel früher seinen Anfang genommen hatte. Anders ausgedrückt, der große, kompromisslose, gegen nichts anderes gerichtete Monotheismus des zweiten Jesaja verstand sich nicht als neu aufgetretener Funke als Reaktion auf Babylon, sondern als das Produkt einer gewissen Treue über einen Zeitraum hinweg einem Ringen mit etwas gegenüber, das bereits lange vor dem babylonischen Exil existierte und noch vor der Existenz Babylons als bedeutender Macht.
Hier wird die Geschichte nun interessant, denn im Fall des ersten Jesaja sprechen wir von einer Reihe von Aussagen, die eine bestimmte Art des Angesprochen werdens voraussetzt und eine bestimmte Erfahrung, die mit dieser Art des Angesprochen werdens Hand in Hand geht, so dass aus dieser “in nuce”-Erfahrung heraus die Möglichkeit den Monotheismus als etwas gegen gar nichts anderes Gerichtetes zu verstehen geboren wurde. Lassen Sie uns einmal einige der Sätze ansehen. Das erste, was Gott zu Jesaja sagt, ist dass er dem König Ahaz Folgendes sagen soll:
Bewahre die Ruhe, fürchte dich nicht! Dein Herz soll nicht verzagen wegen dieser beiden Holzscheite, dieser rauchenden Stummel… (Jes 7:4a)
Und dann spricht der Prophet weiter über die Bedrohung von Jerusalem seitens der Allianz zwischen Syrien und Ephraim, den Vasallen Assyriens, den hier erwähnten zwei rauchenden Stummel. Die Prophezeiung endet so:
Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht. (Jes 7:9b)
Was ich hier über diese Prophezeiung sagen möchte ist, dass sie genau das Gegenteil dessen ist, was man von jemandem dessen Interesse die Förderung des Monotheismus als funktionalen Atheismus erwarten würde. Sie geht davon aus, dass das fundamentale Erfahren Gottes in einem tiefen Frieden begründet ist und in einer Furchtlosigkeit, denn Gott ist so viel stärker als alles andere. Und sie geht davon aus, dass der Glaube an Gott ist eine bestimmte Form des Etabliertseins, des Stabilwerdens, derart, dass das „ich“ bzw. die Gruppe in keinster Weise vom sozialen Anderen motiviert werden.
Die zweite Prophezeiung ist das berühmte Wort über die junge Frau, die ein Kind empfängt und zur Welt bringt, dessen Name Emanuel sein soll, die allen Christen aus den Lesungen in der Adventszeit und zu Weihnachten bekannt ist. Auch hier könnte der Kontrast zwischen der Realpolitik der Sorgen des Ahaz bezüglich der Verteidigung seines Königreichs und dem ihm gegebenen Zeichen größer nicht sein. Anhand des Standards des Monotheismus als funktionaler Atheismus ist Jesajas Zeichen völlig nutzlos. Es legt ein Warten nahe, ein Wachen, während etwas sehr Schwaches und Unbedeutendes geboren wird und heranwächst. Man kann sich kaum ein weniger kraftvolles Zeichen ausmahlen, und es ist auch ein sehr eigenartiger Hinweis auf das, was die Vorstellung des Monotheismus als etwas, das gegen gar nichts anderes ist wurde. Denn es ist keine Konkurrenz der Mächte, sondern eher ein Hinweis auf eine ganz andere Art der Macht.
Die dritte Prophezeiung wäre, sollte das möglich sein, bezüglich der dahinterstehenden Annahmen noch erstaunlicher. Zunächst ist da die Prophezeiung der Bestürzung und der Verwirrung der Nationen:
Tobt, ihr Völker! Ihr werdet doch zerschmettert. Horcht auf, ihr Enden der Erde! Rüstet nur! Ihr werdet doch zerschmettert. Macht nur Pläne! Sie werden vereitelt. Was ihr auch sagt, es kommt nicht zustande. Denn „Gott ist mit uns“ (Immanu-El) (Jes 8:9-10)
Und dann ist es da, quasi als Ausmalerei des Bildes über die Art der Stärke, von der man spricht. Sich zusammenzurotten wird nichts bringen, die starken Versprechen der Anführer können nicht gehalten werden. Statt dessen:
Denn so sprach der HERR, als seine Hand mich packte und er mich davon abhielt, auf dem Weg dieses Volkes zu gehen: Nennt nicht alles Verschwörung, was dieses Volk Verschwörung nennt. Was es fürchtet, sollt ihr nicht fürchten; wovor es erschrickt, davor sollt ihr nicht erschrecken. Den HERRN der Heere sollt ihr heilig halten; vor ihm sollt ihr euch fürchten, vor ihm sollt ihr erschrecken. Er wird das Heiligtum sein für die beiden Reiche Israels: der Stein, an dem man anstößt, der Felsen, an dem man zu Fall kommt. Eine Schlinge und Falle wird er sein für alle, die in Jerusalem wohnen. Viele stolpern darüber, sie fallen und zerschellen; sie verstricken und verfangen sich. Ich will diese Warnung sorgfältig bewahren und die Lehre in meinen Jüngern wie mit einem Siegel verschließen. Ich will auf den HERRN warten, der jetzt sein Angesicht vor dem Haus Jakob verhüllt, auf ihn will ich hoffen. (Jes 8:11-17)
Umgehend, und zusammen mit dem Bild des aufkommenden Monotheismus entsteht die Vorstellung, dass die Art von Mensch, die sich mit einer derartigen unvergleichlichen Macht konfrontiert sieht gelernt hat, demgegenüber, was die Leute sagen, gänzlich unempfindlich zu sein, nicht beeinflusst von dem, was sie in diese oder jene Richtung bringt, und insbesondere nicht an der Art der Gruppenbildungsaktivitäten beteiligt, die mit Verschwörungstheorien einhergehen; mit anderen Worten, der Schöpfung der Gruppe eines bösen Anderen. Der Gott, der völlig Anders ist, das wahre „andere Andere“ hat an derartigen Aktivitäten keinen Anteil; in der Tat ist der wahre Gott vom Blickwinkel der funktionalen Atheisten aus, für die der Glaube an eine Art des gruppenkontrollierten „Gott mit uns“ ist, ein echter Stolperstein, ein Skandal, ein Ärgernis, etwas, womit sie sich nicht abfinden können, denn Gott agiert genau entgegengesetzt zu ihrem normalen Verständnis des Begehrens.
Jesaja weiß, dass seine Botschaft ungenießbar ist, und dass sie besser auf Jünger beschränkt werden sollte, die in der Lage sind, im Laufe der Zeit über sie zu meditieren. Lassen Sie mich diese Verse wiederholen:
Ich will diese Warnung sorgfältig bewahren und die Lehre in meinen Jüngern wie mit einem Siegel verschließen. Ich will auf den HERRN warten, der jetzt sein Angesicht vor dem Haus Jakob verhüllt, auf ihn will ich hoffen.
Es ist ganz eindeutig, dass diese Prophezeiung nicht von unmittelbarem Nutzen ist. Das authentische „andere Andere“ kann nicht verstanden werden, selbst wenn man jetzt zuhört, und das Einzige, was man mit der Prophezeiung tun kann, ist eine Gruppe von Jüngern vorzubereiten, die dann über die Bekundung meditieren werden, was bedeutet, dass das Zeugnis über das Wesen des „anderen Anderen“ im Laufe der Zeit stattfindet. Das „Warten“, das „Hoffen“, die Vorstellung des Herrn, der „sein Gesicht versteckt“, und die Instruktion, „nicht den Weg seines Volkes zu gehen“, all dies weist darauf hin, dass das „andere Andere“ nicht jetzt verstanden werden kann, dass nur die Zeit und die Veränderung des Verstehens der Zuhörenden es ermöglichen, die Natur des anderen Anderen zugänglich zu machen.
Ich möchte dazu zwei Dinge sagen, die aus der gleichen Erkenntnis resultieren, und die ich für das richtige Verständnis des jüdisch-christlichen Monotheismus für schlicht unabdingbar halte. In diesem Bild des entstehenden Monotheismus erscheint der Gott, der nicht einer der Götter ist, lange vor der babylonischen Krise und von Anfang an als eine zur Selbstkritik führende Präsenz. Die erstaunlichen Worte der Prophezeiung sind natürlich eine Art, die Macht der anderen Nationen zu relativieren, aber sie sind gleichzeitig auch eine Quelle der Selbstkritik an den „wir“, in deren Mitte sie ausgesprochen werden. Es sind „wir“, die es nicht sofort verstehen, weshalb der Prophet und seine Gruppe sich mit Irrelevanz abfinden müssen, da sie nicht von den gleichen Ängsten und Belangen motiviert werden, die aus den Ereignissen und Kämpfen dieser weltlichen Macht entstehen. Sie gehen daher nicht auf die gleichen unmittelbaren Themen, Entscheidungen und Auswahlen ein, die über sie getroffen werden, noch holen sie von den gleichen Stellen Rat. Anders ausgedrückt, Zeit, Kontemplation und Irrelevanz waren für die Entdeckung des Monotheismus absolut unverzichtbar, da dieser nur als Teil eines selbstkritischen Prozesses entdeckt werden konnte. Und zur Irrelevanz bereit zu sein bedeutet auch, bereit zu sein, seinen Ruf jemand zu sein, der interessante, nützliche oder wichtige Meinungen über das Zeitgeschehen hat, zu verlieren. Tatsächlich ist eine weitgehende Plünderung der Aufgeblasenheit eine notwendige Begleiterscheinung des Prozesses, der entstehenden selbstkritischen Stimme zuzuhören.
Sollte jemand versucht sein zu sagen, „,ja, aber es ist ja nur der Jesaja“, möchte ich darauf hinweisen, dass sogar Amos, der erste der Propheten, dessen Stimme uns überliefert ist, und der ein Prophet des nördlichen Königreichs war, also aus Israel nicht aus Juda, und der einige Jahre vor Jesaja von Jerusalem predigte, genau so vorgeht. Die ersten zwei Kapitel des Amos bestehen aus einer Reihe schneller Prophezeiungen gegen die Nationen (Damaskus, Gaza, Tyrus, Edom, Ammon, Moab und Juda), jede mit der gleichen Formel beginnend:
So spricht der Herr: „Wegen der drei Verbrechen, die … beging, wegen der vier nehme ich es nicht zurück“
Aber dies ist nur der Aufbau zur wahren Kritik, die dann über Israel gesprochen wird. Wo jede der Nationen ein paar Verse der Kritik erfährt, erfährt Israel zehn, und ab dem dritten Kapitel ist die gesamte Standpauke ausschließlich an die „wir“ gerichtet. Anders ausgedrückt, genau entgegen des typischen soziologischen Verständnisses des Monotheismus als einer Idee, scheint der jüdische Monotheismus als eine Stimme zu beginnen, die viel härter mit den „wir“ als mit den „diesen“ umgeht, und die sogar die „wir“ dafür kritisiert, sich zu viel mit den „diesen“ zu befassen. Das ist nicht dass, was man erwartet hätte!
Der zweite Punkt, den ich hieraus entwickeln möchte, und der, der für mich der wichtigste ist, ist dieser Punkt: Im funktionalen atheistischen Bild des Monotheismus in der Gruppensoziologie, ist das „wir“, oder besser noch, das „ich“ ein Teil der Gruppe. Der Gott ist das mehr oder weniger symbolische „er“ oder „es“, das die Gruppe unterstützt und ihr den Impetus gibt, ihre Grenzen gegen die „diese“ aufrechtzuerhalten, von denen die Gruppe in Wirklichkeit abhängt. Im Bild des sich entwickelnden jüdischen Monotheismus, das ich versucht habe auszuleuchten, scheint jedoch etwas viel Merkwürdigeres zu geschehen. Den in diesem Bild sind das „ich“ und das „wir“ von Gott und die „diese“ sind die Gruppe. Anders ausgedrückt, die Struktur ist genau umgekehrt. Die zuhörende Gruppe sind die „anderen“, deren „wir“ entdeckt wird, während sie im Verlauf der Zeit unter der Stimme des „ich“ verweilt.
Nun möchte ich hier eine wahrscheinlich offensichtliche Aussage machen, aber eine, die wir psychologisch sehr schwer finden. Im jüdischen Verständnis des Monotheismus war es das „ich bin“, das der Gott ist, der „eher wie nichts, als wie irgendetwas das ist“ ist. Anders ausgedrückt, sieht die Geburt des jüdischen Monotheismus weniger wie eine intellektuelle Entdeckung einer logischen These aus, sondern viel mehr wie ein passives Verweilen unter einem „ich bin“, das von nirgendwo herkam, nicht in Rivalität mit irgendetwas anderem steht und das Ende das des „gegen die anderen“ der Götter bedeutet. Und das ist natürlich genau das, was der zentrale jahwistische Text, die Selbstbezeichnung Jahwes aussagt [2]. Moses wird nicht aufgetragen zu gehen und dem Volk Israel zu sagen „Er“ hat mich gesandt, sondern „ich bin“ hat mich gesandt. Und dies aus einem sehr guten Grund, den man erst im Laufe der Zeit verstehen kann: „Er“ wäre nichts weiter als eine Funktion meines willensstarken „ichs“. Im jahwistischen Bild aber ist das „ich“, das gesandt wurde, nur eine formbare Funktion eines unaussprechlich starken und fast unerwähnbaren „ich bin“.
Dies ist nun die zentrale Struktur des jüdischen und christlichen Monotheismus, dieses „ich bin“, das nicht mit irgendetwas in Rivalität steht, das aus der Mitte einer Gruppe heraus spricht, deren Mitglieder die immer zunächst die „diese“ sind und nur langsam und in dem Maß, in dem es ihnen gelingt, sich vom „wir-gegen-ein-diese“ zu lösen zum „wir“ werden. Zudem ist dieses „ich bin“ niemals eine Funktion der Gruppe sondern immer eine Stimme, die nur durch selbstkritisches Zuhören erkannt werden kann. Der Anspruch der Christen ist, dass Jesus die definitive Betonung dieses „ich bin“ ist und so die Wohltätigkeit offenbarte, die hinter dem Wunsch, uns überhaupt anzusprechen lag; nicht aus Notwendigkeit, sondern um eine gänzlich periphere Realität einzuladen, das Andere, das wir selbst sind, um an der vorangehenden und unabhängigen Freude und Liebe teilzuhaben, aus der heraus „ich bin“ spricht. Es überrascht allerdings leider kaum, dass wir diese Wohltätigkeit in unserer Mitte empfingen wie ein kaum hörbares, kaum sichtbares Opfer, das jedes „wir“ wahrscheinlich ausrangiert, damit es seine Strukturen gegen ein böses „diese“ beibehalten kann.
Das katholische und christliche Bekenntnis des trinitarischen Monotheismus ist das Bekenntnis, dass „ich bin“ als „ich bin“ unter uns kam als, immer an der Peripherie unserer Sicht, denn immer in unserer Mitte als der Eine, der in der Lage ist ausrangiert, weggejagt zu werden, um immer als das vergebende Opfer zurückzukehren. Und so werden wir nur dadurch am Leben erhalten, dass unser „wir“, das typischerweise unseren Opfern gegenüber blind ist, durch das Kommen des vergebenden Opfers, des gleichen „ich bin“ als Fürsprecher punktiert wird. „Ich bin“ lehrt uns, uns selbst als „wir“ nicht gegen eine „diese“, sondern als Teil der „diese“ zu sehen, die zusammen in dem Umfang zum „wir“ werden, in dem wir unsere Ähnlichkeit mit unseren Nachbarn erkennen, und so nicht mehr periphere Objekte bleiben sondern am Narrativ der ersten Person teilhaben, die die Schöpfung ist, aus dem Nichts, gegen überhaupt nichts, nur pures Entzücken.
Nun würde ich gerne glauben, und ich hoffe, dass dies nicht nur nette und törichte Fantasie ist, dass unsere heutige Patronin Juliana von Norwich all diesem zugestimmt und darüber glücklich gewesen wäre. Einer der bemerkenswertesten Aspekte ihrer Arbeit, wie Pater John Julian in der Einleitung zu seiner Übersetzung der Offenbarungenerwähnte, ist, dass sie in einem mehr als siebzigjährigen Leben, das die Post, den hundertjährigen Krieg, das Papstschisma, den Mord eines Königs und eines Erzbischofs, die Anfänge der Häresie der Lollarden usw. miterlebte, kein einziges dieser Ereignisse auch nur erwähnt. In der Tat war ihr Leben ein stetes Verweilen als einer der „diese“ unter der Stimme, die sagt „ich bin“, um so die tiefere Bedeutung des „ich bin“ zu erlernen. Ihre Offenbarungen sind das irrelevante Verweilen, das Hören des unvorstellbaren „ich bin“ vor dem wir alle „ein Anderer“ sind, und das Lernen, nicht „den Weg dieser Menschen zu gehen“, sich nicht um ihre Entdeckungen von Verschwörungen zu kümmern, sondern statt dessen der unglaublich friedlichen und mächtigen Bedeutung der Liebe des Einen, der zu uns sprechen möchte zuzuhören, der gänzlich ohne Zorn ist, und aufgrund dessen Gelassenheit und dessen Macht wir uns vor nichts fürchten müssen.
Ich schließe mit einer Herausforderung an uns alle. Ist der Monotheismus, zu dem wir uns bekennen, eine Idee oder eine Entdeckung? Wenn er eine Idee ist, dann sollten wir uns besser daran beteiligen zu sehen, wie wir ein dadurch stärken können, dass wir einen bösen Anderen einsetzen; vielleicht wäre die muslimische Welt ein guter Ansatz. Zudem entdecken wir dann, dass viele von ihnen es geradezu lieben würden, wenn wir dieses Spiel spielen, denn es ermöglicht sie dann, selbst das Opfer zu spielen und so ihre eigenen Streitkräfte zu versammeln. Wenn der Monotheismus jedoch eine Entdeckung ist, dann lege ich nahe, dass wir vor der langwierigen Aufgabe stehen, zu lernen irrelevant zu werden, zu erkennen, dass jeglicher starke Sinn des „ichs“ oder „wir“ und genommen wird und dass wir uns als der Andere wiederfinden, eingeladen zusammen mit allen Anderen, einschließlich den muslimischen Anderen, mit denen gemeinsam wir unsere Ähnlichkeit entdecken und zum „wir“ werden, das eine gewisse Passivität lernt und ein geduldiges Zeugen des „ich bin“, das nicht gegen irgendetwas Anderes ist und auch uns keine Entschuldigung gibt, gegen irgendetwas Anderes zu sein. Denn dies ist die einzige Art, die Entdeckung als Entdeckung am Leben zu erhalten, eine stete Erneuerung des Angesprochenseins, ein ins Leben gesprochen sein durch „ich bin“, der nur in dem Maß hörbar ist, in dem wir gewohnheitsmäßig selbstkritisch geworden sind.
Und nur wenn unsere Liebe zu Christus und unser Wille, ihm zu folgen, Teil dieser Entdeckung sind, nicht Teil des „Rechthabens“, oder des Erfolgreichseins, oder des Wichtigseins, oder in der Lage seins Geld zu verdienen, oder Stimmen zu gewinnen, oder die Demokratie einzuführen, oder liberale Werte, sondern des ins Leben geliebt werdens zusammen mit all den anderen, die wir versucht sind für uns unterlegen zu halten, des Versichertseins, dass wir gemocht werden während wir uns von dem loslösen, das uns unserer Meinung nach liebenswert macht, der Garantie des Friedens, der es uns ermöglicht, unsere Sucht nach der Macht der Welt und der Relevanz, an die wir uns klammern loszulassen; denn nur auf diese Weise sind wir Laufe der Zeit in der Lage, von Christus als Gott zu zeugen. Nicht vom Alibi-Botschafter eines „er“, der uns aufbaut, sondern von der stillen Tiefe des „ich bin“, die uns ins Leben schüttelt.
Ich will auf den Herrn warten, der jetzt sein Angesicht verhüllt … auf ihn will ich hoffen.
Endnoten
[1] Mein Verständnis der Debatte der Chronologie der hebräischen heiligen Schriften fußt auf der außerordentlichen Arbeit des Padre Caetano Minette de Tillesse. Sein von Fortaleza, Ceará, Brasilien herausgegebenes Werk Revista Bíblica Brasileira ist für mich der zugänglichste Führer durch die ungemein komplexe und sich ständig ändernde Welt der wissenschaftlichen Kritik der hebräischen heiligen Schriften.
[2] Ex 4:14. Der brennende Busch, der nicht verbrennt scheint mir ein prächtiges Beispiel der Macht zu sein, die nicht in Rivalität und daher nicht auf der gleichen Stufe wie irgendetwas, das ist steht.
© 2003 James Alison. Translation by Erika Baker