Loslösen des Schwulen Bewusstseins

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Manche von Ihnen kannten vielleicht Benjamin O’Sullivan, einen Benediktinermönch aus der Ampleforth Abbey, der sich im Frühjahr 1996 das Leben nahm. Soweit ich das überblicken kann, wurde Benjamin von einem Reporter der Tageszeitung News of the World in die Falle gelockt, und das Einzige, was verhinderte, dass sein Tod zum Mord wurde, war die Tatsache, dass Benjamin sich der Stimme des Lynchmobs fügte und selbst seinen eigenen Tod herbeiführte. Ich war der Meinung, dass dieser äußerst attraktive, anscheinend selbstbewusste, lebensfrohe junge Mann deshalb sterben musste, weil er nicht in der Lage war, als ganz gewöhnlicher schwuler Mann der Stimme des Lynchmobs standzuhalten. Und der Grund dafür, dass er ihnen nicht standhalten konnte, war, dass sein Bewusstsein gebunden war. Kurz nach seiner Priesterweihe hatte er mir gegenüber seiner Sorge Ausdruck gegeben, dass er eigentlich kein richtiger Priester sei, denn „wenn sie es gewusst hätten“, hätten sie ihn mit Sicherheit nicht ordiniert. Dass kaum jemand, der Benjamin gut kannte, nicht gemerkt haben sollte, dass er schwul war, tut dabei nichts zur Sache: ein Mensch, der in einer Falle gefangen ist, sieht die Welt durch eine angstgetönte Brille und diese Angst erhellt nicht das, was sie projiziert, sondern sie verdunkelt es. Dies weist darauf hin, was ich mit dem Ausdruck „ein gebundenes Bewusstsein“ sagen möchte: Es betrifft diejenigen, die sich nicht behaupten und einfach sie selbst sein können, die nicht auf das Gute vertrauen können, das zu werden ihnen gegeben ist, ganz gleich, was der Lynchmob ihnen antun mag, diejenigen, die sich statt dessen in einer Welt von Halbwahrheiten abmühen, in der jedes Dazugehören nur ein halbes Dazugehören ist, weil sie immer das Gefühl haben: „Wenn die nur Bescheid wüssten“ dann „dürfte ich nicht mehr dabei sein“. Daraus wird ein permanentes und tief gehendes Gefühl des „ich darf hier eigentlich nicht dabei seins”.

Es erschien mir damals, und erscheint mir immer noch, und ich sagte das auch zu Kardinal Hume, als ich ihn etwas später besuchte, um über Benjamin zu sprechen, dass die Tatsache, dass die Kirche nicht mehr einfach so wie Petrus im dritten Kapitel der Apostelgeschichte, zum von Geburt an gelähmten Mann an der Schönen Tür sagen konnte: „Im Namen Jesu Christi von Nazareth, stehe auf und wandle“, ist, obgleich traurig, etwas, womit ich leben kann. Wenn die Kirche aber, und damit meine ich uns alle, ein Bewusstsein wie das des Benjamins nicht loslösen kann, dann taugen wir wirklich zu nicht mehr, als das man uns wegwirft und auf uns herumtrampelt, wie das salzlose Salz zu dem wir geworden sind. In Anbetracht der Tatsache, dass die Obersten unserer Hierarchie nichts unternehmen würden, ja, dass sie wahrscheinlich gar nicht in der Lage waren, irgendetwas zu unternehmen, waren sie doch vom gleichen gebundenen Bewusstsein gelähmt, das Benjamin so geplagt hatte, wurde mir klar, dass ich selbst etwas schreiben und einen Beitrag zum Loslösen des schwulen Bewusstseins leisten musste; versuchen musste, die nicht von Menschen gegebene Autorität zu finden, um sagen zu können: „Im Namen Jesu Christi von Nazareth, stehe auf und sei!” Das Ergebnis meines Versagens, dies auf systematische Art zu tun, ist ein Buch mit dem Titel Faith Beyond Resentment: Fragments Catholic and Gay, das Sie vielleicht bereits kennen mögen.

Das Einzige, was mir mit dem Buch gelang, war es, einige Wegweiser über meine Ahnung davon aufzustellen, dass wenn der Jesus der Evangelien wirklich lebendig und in unserer Mitte ist, und wenn dies wirklich das ist, was Gottes Eröffnung uns gegenüber ausmacht, dann ist das Lösen des schwulen Bewusstseins genau das, was er tun würde. Er ist der Gott, der die Schafe behütet, die von den Schäfern verlassen wurden, und es ist sinnvoll sich zu überlegen, wie dieses Behüten aussehen könnte.

Wenn die Frage nicht etwa lautet „was würde Jesus tun”, sondern „was tut Jesus” (und ich gehe davon aus, dass Letztere die authentische katholische Fragestellung ist, wenn man zugrunde legt, dass die Realpräsenz Jesu ein kontinuierliches Projekt ist und nicht eine textliche Präsenz in einer fliehenden Vergangenheit), dann ist es sinnvoll etwas über die Macht desjenigen nachzudenken, der unser Bewusstsein löst.

Lassen Sie mich zunächst einmal sagen, dass Petrus in einer perfekten Welt wüsste, dass ihm die Macht zu Binden und zu Lösen insbesondere deshalb gegeben wurde, damit er den Nichtjuden den Himmel eröffnen kann. Er würde dann die Worte ‘Gott zeigte mir, dass ich keinen Menschen profan oder unrein nennen soll’ (Apg 10,28) aussprechen und schwule und lesbische Menschen fänden sich mit einem gelöstem Bewusstsein als Brüder und Schwestern in der Kirche, auf den gleichen Grundlagen wie alle anderen auch, also als Söhne und Töchter und Erben.

Tatsächlich aber scheint es eher so zu sein, dass wir uns in einem merkwürdigen Augenblick in dieser Erzählung aus der Apostelgeschichte befinden. Wir befinden uns in der kleinen Pause, nachdem Petrus von Jesu predigte, den Gott mit dem Heiligen Geist salbte und dem er Macht gab (Apg 10,34-43), nachdem wir die Botschaft glaubten und so wussten, dass Jesus für uns die Gute Nachricht ist, und nachdem der Heilige Geist zu uns herabkam, so dass wir nun das Leben als geliebte Kinder beginnen und Gutes von Gott sagen können (Apg 10,44-46). Aber wir befinden uns auch in der kleinen Pause, bevor Petrus mit Überzeugung sagen konnte: ‚„Wer könnte ihnen jetzt noch die Taufe verweigern, wo sie genau wie wir den Heiligen Geist empfangen haben?“ Und er ließ alle auf den Namen Jesu Christi taufen‘ (Apg 10,47-48).

Wenn Sie sich allerdings über die Wirklichkeit die Augen öffnen lassen wollen, dann bedenken Sie, was die derzeitige Lehre der Kongregation besagt: „Die spezifische Neigung der homosexuellen Person ist zwar in sich nicht sündhaft, begründet aber eine mehr oder weniger starke Tendenz, die auf ein sittlich betrachtet schlechtes Verhalten ausgerichtet ist. Aus diesem Grunde muss die Neigung selbst als objektiv ungeordnet angesehen werden.“ Wenn man diesen Satz unter den Vorzeichen der oben genannten Stelle aus der Apostelgeschichte liest, sieht man ganz eindeutig, dass dies einen Rückschritt bedeutet. Wo Petrus sagt: „Gott zeigte mir, dass ich keinen anderen Menschen profan oder unrein nennen soll”, sagen seine modernen Gefolgsleute: „Obwohl es wahr ist, dass schwule und lesbische Menschen weder profan noch unrein sind, sind sie doch so anzusehen.“

Und so leben wir in einer Zeit des petrinischen Abfallens von den Evangelien, und dennoch werden wir langsam gewahr, dass der Empfang der Guten Nachricht und unser eigenes Loslösen nicht von Petrus kommt, sondern von Gott, und das Petrus dies später versteht und bestätigt. Es ist dies ein durchaus verständliches biblisches Muster, mit dem wir leben können, während wir auf Petrus warten.

Heute möchte ich nun damit anfange, dieses Binden und Lösen einmal genauer zu untersuchen. Wie sieht das aus? Der erste Schritt ist es wohl, sich anzusehen, was „gebunden“ bedeutet. Ein gebundenes Bewusstsein ist eines, das sich weder hierhin noch dorthin bewegen kann, weder vorwärts noch rückwärts, das gelähmt ist, empört. In diesem Sinne ist es ein trostloses Dasein, in totes Leben, und viele von uns sind oder waren solche Menschen. Lassen Sie mich ein paar Beispiele geben. Wir alle kennen das Konzept der Zwickmühle, der Sackgasse, des Teufelskreises. Ein gebundenes Bewusstsein bedeutet, das Gefühl, in einer Zwickmühle zu stecken, oder in einer ganzen Reihe von Zwickmühlen. Zum Beispiel: „Mein Gebot ist es, dass du lieben sollst, aber deine Liebe ist krankhaft“, oder „du solltet einfach verschwinden und verrecken, aber es ist dir verboten, dich selbst umzubringen“, oder „mein Leben ist nur dann akzeptabel, wenn ich keusch lebe, aber wenn sie wirklich wüssten, wer ich bin, würden sie es mir nicht einmal erlauben, dabei zu sein“, oder „natürlich kannst du bei uns dabei sein, du darfst nur nicht zugeben, wer du wirklich bist“, oder „du darfst nicht schwul sein, aber du musst ehrlich sein“. Viele von uns wurden im Laufe der Zeit in genau solche Begehrensmuster eingeführt. Sie haben klassischerweise das Format: „Tu es mir gleich, aber tu es nicht so, wie ich“. Wenn man sich magnetisch zu jemandem hingezogen fühlt, die Botschaft, die man erhält jedoch besagt „sei wie ich, aber sei nicht so wie ich“, dann ist man zunächst empört, setzt sich letztendlich fest und kann sich weder vorwärts noch rückwärts bewegen.

Was ich hier nahelegen möchte, ist, dass wir es in all diesen Fällen mit einem Selbst zu tun haben, das sich widersprechende Begehren empfing und von ihnen geformt wurde, ohne dass ihm die Möglichkeit gegeben wurde, zu erkennen, wie sie angemessen umgesetzt werden könnten. Anders ausgedrückt, hier werden zwei Anweisungen auf der jeweils gleichen Ebene empfangen, die jedoch gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen weisen; das Resultat ist Gelähmtheit. Das ist es, was σκάνδαλον, skandalon, im Neuen Testament bedeutet: Skandal oder Hindernis, Stolperstein. Jemand, dem ein Hindernis in den Weg gelegt wird, wird gelähmt und er kann sich nicht mehr fortbewegen. Und das Beseitigen des σκάνδαλα – skandala -, also das Auflösen der Zwickmühle, die es Menschen nicht erlaubt das zu sein, was sie sind, ist genau das, worum es in den Evangelien geht.

Ich möchte hier eindeutig klarstellen, dass es hier um etwas Grundsätzliches geht, was von prinzipieller Bedeutung für die Evangelien ist. Es ist gut möglich, die Evangelien so darzustellen, dass sie eine Zwickmühle bedeuten. Jede Darstellung des christlichen Glaubens, die sagt „Ich liebe dich, aber ich liebe dich nicht“, oder „ich muss dich so wie du bist nicht lieben, aber wenn du zu jemand anderem würdest, dann würde ich dich lieben“, predigt nichts anderes als eine Zwickmühle, einen Stolperstein, einen Weg hin zur Lähmung.

Stellen wir uns einmal eine Unterhaltung zwischen einem falschen Gott und dem Selbst vor:

FG: Ich möchte dich lieben, aber ich kann die so wie du bist nicht lieben, weil du sündig bist und objektiv ungeordnet.
Selbst: Also was muss ich tun, um geliebt zu werden?
FG: Du musst zu jemand anderem werden.
Selbst: OK, mache ich, zeig mir wie.
FG: Liebe ist nicht etwas, was man verdienen kann, sie ist einfach.
Selbst: Ja, aber wie kann ich denn dann zu der Art Mensch werden, die geliebt werden kann?
FG: An deiner Stelle würde ich woanders beginnen.
Selbst: Das ist ja eine große Hilfe. Und wie beginne ich woanders?
FG: Das kannst du gar nicht, denn egal wo du auch beginnst, beginnst du doch immer als du selbst, und du kannst nicht geliebt werden.
Selbst: Ja, aber wenn ich nicht woanders beginnen kann, und wenn ich nicht von dort beginnen kann, wo ich mich befinde, was kann ich denn dann tun?
FG: Gib es einfach auf, das mit der Liebe; gehorche einfach und sei gelähmt.

So bedeutend ist es, wenn wir unser Selbst, unsere Identität, unser Begehren, als Imitation und mit den Augen eines jemanden erhalten, der uns widersprüchliche Signale sendet, uns in die Zwickmühle bringt.

Wenn das Evangelium irgendetwas besagt, dann ist es, dass die Gute Nachricht über Gott eindeutig ist, dass es in Gott kein Wenn und Aber gibt, dass Gottes Liebe bedingungslos ist. Und das bedeutet insbesondere, dass es in Gott keine Zwickmühlen gibt. Dass Gott möchte, dass unser Begehren frei fließt, lebensspendend und ungehindert, denn im Fluss des Begehrens werden wir ins Leben gerufen.

Ja, wenn dies also der Fall ist, dann stellen Sie sich einmal vor, wie ein Gespräch zwischen einem bedingungslos liebenden Gott und dem Selbst aussehen könnte:

BlG: Ich liebe dich.
Selbst: Aber ich bin ein total beschissener Kerl, wie kannst du mich lieben? BlG: Ich liebe dich.
Selbst: Aber du kannst mich nicht lieben, ich bin Teil dieser ganzen Scheiße. BlG: Du bist es, den ich liebe.
Selbst: Wie kann ich es sein, den du liebst, wenn ich schlechte Beziehungen hatte, mich in dunklen Räumen aufhielt, an Intrigen gegen andere beteiligt war? BlG: Du bist es, den ich liebe.
Selbst: Aber.
BlG: Du bist es, den ich liebe.
Selbst: Aber.
BlG: Du bist es, den ich liebe.
Selbst: OK, lässt du mich also hier so einfach in der Scheiße sitzen?
BlG: Weil ich dich liebe, entspannst du dich in meine Liebe hinein und du merkst, dass du liebenswert wirst, ja, dass du zu jemandem wirst, denn du kaum erkennen kannst.
Selbst: Sollte ich nicht erst etwas tun, um mich auf all dieses liebenswert werden vorzubereiten?
BlG: Nur, wenn du noch nicht verstanden hast, dass ich es bin, der die Arbeit leistet, und du der bist, der strahlen wird. Weil ich dich liebe, entspannst du dich in meine Liebe hinein und du merkst, dass du liebenswerte Dinge tust, denn du wirst geliebt.
Selbst: Ich glaube, das wäre für mich in Ordnung.

Kurz gesagt, wenn wir den alten irischen Witz hören, „Wie komme ich nach Dublin“, und die Antwort ist „Wenn ich du wäre, würde ich nicht von hier aus losgehen“, dann ist die Antwort der Evangelien, also das, was Christus uns sagt: „Ich komme mit dir, und wir gehen genau dort los, wo du gerade bist“.

Jetzt formuliere ich das mal als eine Frage: Ist die Lehre der Kongregation des Vatikans, die ich vorhin zitierte, mit dem Evangelium vereinbar, oder ist sie mit dem schlechten irischen Witz vergleichbar? Ich zitiere noch einmal: „Die spezifische Neigung der homosexuellen Person ist zwar in sich nicht sündhaft, begründet aber eine mehr oder weniger starke Tendenz, die auf ein sittlich betrachtet schlechtes Verhalten ausgerichtet ist. Aus diesem Grunde muss die Neigung selbst als objektiv ungeordnet angesehen werden.“

Für mich zumindest ist die Sache klar. Diese Lehre stellt sich zwischen die Sichtweise Christi und unser Bewusstsein über unser Dasein auf eine Weise, die die einfache Sichtweise dessen, der uns so liebt, wie wir sind, und als dessen Geliebte wir zu jemand anderem werden, pervertiert. Statt dessen lehrt sie uns, dass Gott uns erst dann lieben wird, wenn wir woanders beginnen. Das bedeutet, dass die Lehre im Grunde genommen ein ’skandalon‘ ist, ein Hindernis, etwas, das die Zwickmühle verstärkt, anstatt sie aufzubrechen. Und weil ich der Meinung bin, dass diese Lehre auf fundamentaler Ebene nicht mit dem Evangelium vereinbar ist, glaube ich auch, trotz der Beteuerungen des derzeitigen Amtsinhabers in der römischen Kurie, dass sie in der Tat nicht die Lehre der Kirche sein kann.

Eine Dimension, die ich hier mehr oder weniger stark entwickelt habe, aber die nicht immer offensichtlich ist, wenn Menschen über das Bewusstsein sprechen ist, dass es wichtig ist, zu verstehen, dass unser Bewusstsein immer in Zusammenhang mit etwas steht und von etwas geformt wird, das anders als wir ist, vor uns und außerhalb von uns. Es ist nicht etwa so, dass es irgendwo in uns eine „echte“ private Stimme gäbe, die uns unfehlbare und richtige Überlieferungen gäbe. Im Gegenteil, das, was unser Innerstes ausmacht, ist eine mehr oder weniger gut geführte Unterhaltung zwischen den verschiedenen Stimmen, die uns auf die eine oder andere Art ins Leben gerufen haben, durch unsere Eltern, unsere Erziehung und Ausbildung, die Kirche und Politiker, und die uns oft genug zusammengeschnürt hat. Wir werden ins Leben gerufen als Körper, die durch diese Stimmen in der Welt agieren. Wenn es daran geht, das Bewusstsein zu lösen, bedeutet dies, dass es nicht etwa darum geht, unter all diesen Stimmen nach der unschuldigen Stimme zu suchen, von der ich weiß, dass sie das „gute Bewusstsein“ ist. Das ist nichts weiter als eine erschreckende Selbsttäuschung. Nein, sowohl das Erhalten eines Selbsts und ein Gespür für dieses Selbst durch die Sprache, und das Loslösen des Bewusstseins, sind immer die Handlungen von jemand anderem, der außerhalb von uns steht, und unsere wichtigste Aufgabe ist zu wissen, welchem „anderen“ wir zuhören. Wer ist der „Andere“, der unser Bewusstsein lösen kann, der uns ohne uns in die Zwickmühle zu bringen zum Begehren führen kann?

Ich vermute, dass dies hilft, den Teil des Eindrucks hervorzuheben, den Jesus bei denen hinterließ zu denen er sprach, und dass es daher auch der Eindruck ist, den her hinterlässt, wenn er zu uns spricht: „Denn er lehrte wie jemand, der Autorität hat, nicht wie die Schriftgelehrten (Mt 7,29; Mk 1,22), oder „mein Schafe hören und erkennen meine Stimme und ich kenne sie, und sie folgen mir“ (Joh 10,27). Mit Autorität zu sprechen bedeutet aus der Kraft des Autors heraus, dem am Anfang Stehenden, dem Schöpfer, und kann genau deshalb erkannt werden, weil es die Zwickmühlen und die Stolpersteine entfernt, die nicht von Gott sein können, da es unmöglich ist, dass ein guter Schöpfer seine Kreaturen derartig behandelt.

Ich möchte mich noch etwas tiefer mit der Auswirkung beschäftigen, die es auf uns hat, wenn jemand uns ansieht und sagt: „ich liebe dich, und in dem Maße, in dem du dich als geliebt erkennst, wirst du dich verändern.“ Ich möchte hier etwas anscheinend ziemlich Banales sagen, aber es ist doch sehr wichtig. Meiner Meinung nach wäre es sinnvoll, das Wort „lieben“ in den Keller zu verbannen und stattdessen das Wort „mögen“ zu benutzen. Und zwar aus folgendem Grund. Genau wie ich auch haben Sie wahrscheinlich Leute kennengelernt, die uns sagen, dass sie schwule Menschen lieben, und dass sie uns gerade deshalb ändern möchten. Anders gesagt, schließt ihr „lieben“ kein „mögen“ mit ein, sondern es bedeutet in etwa: „Um Gottes Liebe den Sündern gegenüber gerecht zu werden, muss ich dich davon abbringen, der zu sein, der du bist.“

Dabei ist ein Wort wie „mögen“ viel schwieriger in eine Lüge zu verdrehen, als das Wort „lieben“, denn wir wissen genau, wenn uns jemand mag. Wir merken es daran, dass er gerne mit uns zusammen ist und seine Zeit in unserer Gesellschaft verbringt. Was ich hier nahelegen möchte, ist, dass wenn unser Verständnis von lieben nicht auch das Mögen mit einschließt, oder zumindest die Bereitschaft zum Mögen, dann stehen die Chancen hoch, dass wir mit der Art von Liebe zu tun haben, die uns in die Zwickmühle einbindet, und die in Wirklichkeit besagt: „Meine Liebe zu dir bedeutet, dass ich dich dann mag, wenn du zu jemand anderem wirst“.

Und so scheint es mir, dass die Lehre der Fleischwerdung unseres Herrn, das Bild des zu uns als Mensch kommenden Gottes (Phil 2,7), eine klare Aussage dafür ist, dass die göttliche Sichtweise die Sichtweise des uns Mögens ist, hier und jetzt, so wie wir sind. Froh, unter uns zu sein. Und das bedeutet, dass der, der uns hier mit Liebe betrachtet, uns nicht nur mit dem durchdringenden und unergründlichen starren Blick völliger Andersartigkeit ansieht, sondern mit der Freude dessen, der gerne in unserer Gesellschaft ist, der mit uns eins sein und an unserem Leben teilhaben möchte. Sicher, je mehr wir lernen, das Geliebtwerden anzunehmen, desto mehr entdecken wir, dass wir doch ganz anders sind, als wir von uns selbst gedacht hätten, und unsere Begehrensmuster ändern sich. Das ist es, was geschieht, wenn man erkennt, dass der Heilige Geist uns innewohnt und unser Begehren verändert. Aber das bedeutet nicht, wie wir uns das so oft vorstellen, dass Gott uns erst einmal kleinmacht, um uns dann wieder aufzubauen, als ob Jesus eine Art Oberkommandant sei, dessen Aufgabe es ist, den Rekruten erst einmal die Hölle heißzumachen, und dafür zu sorgen, dass sie sich so miserabel fühlen, bis sie, nachdem sie erst einmal ihre Identität verloren haben, eine gute neue Identität als Soldat entdecken und dann feststellen, dass der Oberkommandant in Wirklichkeit ein herzensguter Kerl ist.

Nein, wir glauben, dass die Augen Gottes die in Christus sind, und daher die Betrachtungsweise, durch die wir ein neues Selbst erhalten können, Augen wie die unseren sind, auf gleicher Höhe wie unsere. Das bedeutet, dass sie uns nicht kontrollieren, nicht versuchen, besser als wir selbst zu wissen, wer wir sind, sondern dass sie an unserer Entdeckungsreise unseres Werdens teilhaben möchten.

Das bedeutet, dass es dabei nichts zu verlieren gibt. Es gibt nur das Abenteuer des Vertrauens auf die Güte dessen, der uns liebt, und zu entdecken, was wir wirklich tun möchten.

Unser Herr beschreibt es folgendermaßen:

Denn gleichwie ein Mensch, der außer Landes reiste, seine eigenen Knechte rief und ihnen seine Habe übergab: Und einem gab er fünf Talente, einem anderen zwei, einem andern eins, einem jeden nach seiner eigenen Fähigkeit. Und alsbald reiste er außer Landes. Der die fünf Talente empfangen hatte, ging aber hin und handelte mit denselben und gewann andere fünf Talente. Desgleichen auch, der die Zwei empfangen hatte, auch er gewann andere zwei. Der aber das eine empfangen hatte, ging hin, grub in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn. Nach langer Zeit aber kommt der Herr, jener Knechte und hält Rechnung mit ihnen. Und es trat herzu, der die fünf Talente empfangen hatte, und brachte andere fünf Talente und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir übergeben, siehe, andere fünf Talente habe ich zu denselben gewonnen. Sein Herr sprach zu ihm: Wohl, du guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen; gehe ein in die Freude deines Herrn. Es trat aber auch herzu, der die zwei Talente empfangen hatte, und sprach: Herr, zwei Talente hast du mir übergeben; siehe, andere zwei Talente habe ich zu denselben gewonnen. Sein Herr sprach zu ihm: Wohl, du guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen; gehe ein in die Freude deines Herrn. Es trat aber auch herzu, der das eine Talent empfangen hatte, und sprach: Herr, ich kannte dich, dass du ein harter Mann bist: du erntest, wo du nicht gesät, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich und ging hin und verbarg dein Talent in der Erde; siehe, da hast du das Deine. Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: böser und fauler Knecht! du wusstest, dass ich ernte, wo ich nicht gesät, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe? So solltest du nun mein Geld den Wechslern gegeben haben, und wenn ich kam, hätte ich das Meine mit Zinsen erhalten. Nehmt nun das Talent von ihm und Gebet es dem, der die zehn Talente hat; denn jedem, der da hat, wird gegeben werden, und er wird Überfluss haben; von dem aber, der nicht hat, von dem wird selbst was er hat, weggenommen werden. Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußere Finsternis; da wird sein das Weinen und das Zähneknirschen. (Mt 25,14-30)

Das Bedeutende an dieser Parabel ist, dass der entscheidende Faktor für das Bewusstsein der Knechte und daher die Quelle ihres Handelns, ihre Vorstellung über den Character ihres Herren ist. Die ersten beiden Knechte betrachteten die Abwesenheit ihres Herren eindeutig als eine Chance, etwas Erfreuliches zu tun. Da sie darauf vertrauten, dass ihr Herr ein wagemutiger Kerl war, der selbst übereilte und verrückte Dinge tun würde, für die es kein Vorbild gab, dass er sich etwas trauen würde, experimentieren würde, es riskieren würde, etwas zu verlieren, und so letztendlich alle Dinge enorm vervielfältigen würde. Mit anderen Worten, sie waren der Auffassung, dass ihr Herr sie so sehr mochte, dass er sie dazu anspornte, unternehmenslustig zu sein. Und dank der Vorstellung und dem Vertrauen darauf, dass sich der Überfluss noch vermehren würde, vermehrten sie in der Tat den Überfluss. Der dritte Knecht offenbart genau, welche Vorstellungen er vom Character seines Herrn hatte:

Herr, ich kannte dich, dass du ein harter Mann bist: du erntest, wo du nicht gesät, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich und ging hin und verbarg dein Talent in der Erde.

Er handelte seiner eigenen Vorstellung gemäß. Und seiner Vorstellung nach war er in einer Zwickmühle, die perfekt mit dem Satz: „Du erntest, wo du nicht gesät, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast“ erfasst ist. Seine Vorstellung war die von einem Anderen, der ihn nicht mochte, und ihm daher eine unerträgliche Last auferlegt hatte, und so tat er nichts weiter, als zu schmollen. Er war gebunden, ein lebender Toter, der sich weder vorwärts noch rückwärts bewegen konnte. Es ist kein Wunder, dass der Herr in der Version des Lukasevangeliums sagt: „Aus deinem Munde werde ich dich richten, du böser Knecht!“ (Lk 19,22), denn es ist in der Tat die Wahrnehmung des Knechts, die ihn band.

Und so möchte ich einmal behaupten, dass Jesu Gegenwart in unserer Mitte in der Eucharistie Gottes Art ist, uns stets daran zu erinnern, auch welche Weise er uns ansieht, dass er uns mag und uns dazu ermuntert, während der Zeit der „Abwesenheit des Herrn“ mit ihm mutig umzugehen, und dass das Loslösen unseres Bewusstseins bedeutet, dass wir in die Lage versetzt werden, auf die Betrachtungsweise dessen zu vertrauen, der uns mag und der entzückt ist, wenn wir neue, verrückte und wagemutige Ideen haben, die zuerst gar nicht Teil des Programms gewesen zu sein scheinen. Und wir handeln ja gemäß unseres Bewusstseins. Wenn unser Bewusstsein die Blickweise von jemandem akzeptiert, der uns mag, der wagemutig ist, kreativ, innovativ, sprudelnd, ohne Angst und risikobereit, und wenn es so werden möchte wie dieser, dann merken wir, dass wir uns auch dementsprechend verhalten. Dass wir in der Lage sind, aufzustehen und unseren Kopf hinzuhalten, uns daran zu erfreuen, Möglichkeiten zu finden, andere aus dem Schneider zu bringen, niemals ein Nein als Antwort zu akzeptieren, uns zu weigern zu glauben, dass irgendetwas für Gott unmöglich ist – und so werden wird dann auch.

Jemand mit einem gelösten Bewusstsein kann sich trauen, es auch mal falsch zu machen, denn er muss es nicht immer richtig machen. Wenn man es richtig machen muss, bedeutet dass nur, dass man sich nicht traut, es falsch zu machen, weil man nämlich Angst davor hat, was passiert, wenn man es falsch macht. Das katholische und christliche Verständnis des Bewusstseins ist allerdings, dass wir es falsch machen können, genau, weil wir wissen, dass wir gemocht werden, und dass es nichts ausmacht, weil wir uns nicht vor einer Strafe fürchten, sondern in der Lage sind, aus unseren Fehlern zu lernen. Tatsächlich ist es ja so, dass wir es nicht wirklich richtig machen können, wenn wir uns nicht trauen, es falsch zu machen, denn unser Rechtmachen ist eine Form des Schutzes gegen das, was anders ist, als wir es sind, gegen das Ungewisse, das Aufregende, Große, das, was uns großherziger und großmütig macht. Ein gutes Bewusstsein ist nicht etwa das Gefühl der Selbstzufriedenheit, weil man es richtig gemacht hat; vielmehr ist es die zugrundeliegende Begeisterung, sich selbst als auf dem Weg befindlich zu erkennen, was durchaus mit tiefer Trauer über die Erkenntnis, etwas falsch gemacht zu haben, einhergehen kann. Es ist aufregend, ein Sohn oder eine Tochter zu sein, die ein Abenteuer erleben; nicht die vertragliche Präzession eines Sklaven, der etwas richtig tun muss, weil er kein Gefühl dafür hat, wirklicher Teilhaber an einem Projekt zu sein, wer auch immer das Sagen haben mag, und der den Anderen nur als willkürlich und launenhaft ansieht, als jemanden, der das nicht Perfekte finster anstarrt.

Was bedeutet es Ihnen also, dass Gott uns schwule Menschen nicht nur auf klinische, entfernte Art „liebt“, sondern uns mag, sich unserer Gegenwart erfreut, dass er mit uns ein Abenteuer erleben möchte, und sehen möchte, was wir aus dem Abenteuer des Menschseins machen können? Ist es denn nicht so, dass allein der Satz „ich mag, dich“ eine Erlaubnis darstellt, zu sein, kreativen Raum eröffnet und ein „ich bin neugierig darauf, dich zu begleiten“ nahelegt, Entzücken bedeutet? Und wenn dem so ist, warum trauen wir uns dann nicht uns vorzustellen, dass Gott wirklich möchte, dass wir frei und glücklich sind, angefangen genau dort, wo wir im Augenblick sind; dass unser Begehren nach einem liebenden Partner, oder der Wunsch, ein verrücktes Gemeinschaftsprojekt voller exzentrischer Tunten auf die Beine zu stellen, das einen echten Einfluss auf die Gesellschaft und die Kirche hat, etwas ist, was uns Erfüllung bringen könnte, und zwar eine Erfüllung, die viel stärker ist, als wir uns das träumen lasen. Nur weil Petrus das noch nicht verstanden hat, bedeutet nicht, dass sich der Heilige Geist davon abhalten lässt, unser Begehren zu lösen. Nur weil unsere Hierarchien nicht in der Lage zu sein scheinen sich zu trauen, uns die Art des eucharistischen Raums einzuräumen, der von unserer Taufe an zu unserem Geburtsrecht gehört, bedeutet nicht, dass unser Bewusstsein geknickt sein muss, gebunden von der ganzen Schwere des Managements des Niedergangs, der defensiven bürokratischen Unfähigkeit, mit uns von Erwachsenem zu Erwachsenem zu verhandeln. Denn diese Schwere und diese Unfähigkeit sagen etwas über die anderen aus, aber sie müssen nichts über uns aussagen.

Das Bewusstsein wird gelöst, damit es tun und werden kann, und ich glaube, dass wir uns jetzt genau an dieser Stelle befinden: wissend, dass das einzige Gericht, dass wir erfahren werden, das der Freiheit ist (Jak 2,12). Was möchten wir uns von diesem Moment an trauen? Womit würden wir gerne unseren Herrn bei seiner Rückkehr empfangen?

Ein letzter Punkt: Ich bin davon überzeugt, dass wir sehr privilegiert sind, in der jetzigen Zeit schwule und lesbische Katholiken zu sein, und zwar aufgrund des wachsenden Bewusstseins, dass wir Teil der inneren Dynamik des Projekts der Verbreitung der Guten Nachricht Gottes in der Welt sind. Ich möchte dabei darauf hinweisen, dass es eines der Merkmale der Texte über das apostolische Zeugnis im Neuen Testament ist, dass sie sehr stark von der Vorstellung einer Art „Coming Out” gekennzeichnet sind, eines Zurücklassens von etwas, das zwar theoretisch gut ist, in der Praxis aber zur Falle geworden ist. Manchmal wird das auf moralistische Art dargestellt, wobei Menschen etwas Schlechtes hinter sich lassen und sich etwas Gutem zuwenden. Ich denke aber, dass es eher so ist, dass Menschen etwas anscheinend „Gutes“ hinter sich lassen, sei es das „Gesetz“, oder die Schicklichkeiten der römischen bürgerlichen Religion, und stattdessen frei werden. Paulus legt Wert darauf, dass die Freiheit nicht in Zuchtlosigkeit verkommt, aber er legt noch viel viel mehr Wert darauf, dass die Menschen nicht mehr zu dem „Guten“ mit seinem gebundenen Bewusstsein und seiner behaglichen Abhängigkeit von der Anerkennung der Gruppe zurückkehren (Gal 3,1). Welcher der zwei nachstehenden Vorschläge ist Ihrer Meinung näher am Zeugnis des Neuen Testaments?

Ein schwuler Katholik glaubt, dass „wie ein Hund, der zurückkehrt, zu seinem Gespei” in erster Linie bedeutet, nicht mehr zu Schwulentreffpunkten zu gehen, und Beziehungen einzugehen, bei denen die Gefahr besteht, dass es zu Sex kommt;

Oder:

Ein schwuler Katholik glaubt, dass „wie ein Hund, der zurückkehrt, zu seinem Gespei“ (s. Spr 26,11 und 2 Petr 2,22) in erster Linie bedeutet, sich der Verlockung der ekklesiastischen Verheimlichung, die das Bewusstsein bindet und die Menschen unfrei macht, zu funktionsgestörten Beziehungen führt, sowie zur Unfähigkeit zu lieben und die Wahrheit zu sagen.

Was soll die Lehre darüber, dass man keinen neuen Wein in alte Schläuche füllen soll, oder die Warnung vor dem Sauerteig der Pharisäer denn bedeuten, wenn sie nicht Teil der Art ist, auf die der Autor aller Dinge davon spricht, ein wagemutiges Bewusstsein zu sein? Wohin, also, führt uns das?


© 2002 James Alison. Translation by Erika Baker