Der Dreh- und Angelpunkt der Entdeckung oder: wie die „schwule Sache“ für die katholische Kirche eine gute Nachricht ist

Etwas abgeänderte Versionen dieses Vortrags wurden anlässlich des 16. Christopher F. Mooney S.J.-Jahresvortrags über Religion, Kirche und Gesellschaft, Fairfield University, Fairfield CT am 22. September 2009 gehalten, als Beitrag der Jahreskonferenz der katholischen Vereinigung Catholic Association of Lesbian and Gay Ministries (CALGM) in Las Vegas NV, 24.-27. September 2009, und als Vortrag in der Reihe „Dominican Evenings“ (Dominikanische Abende) im Dominican-Priory-Konferenzzentrum in Pietermaritzburg, Südafrika am 9. Oktober 2009.

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Wovon ich Ihnen berichten möchte, ist ein riesiger Spaß. Meiner Meinung nach macht das Katholisch sein riesigen Spaß. Eine von Gott angetriebene enorme Berg- und Talfahrt in die Realität, auf sicheren Flügeln getragen, erkoren durch den liebenden, sich selbst-gebenden Herrn in seiner Kreuzigung, von seiner Heiligen Mutter bewacht und mit Lächeln beschenkt und von abenteuerlustigen Zuspruch des Heiligen Geists Gottes ins Leben gespielt, wie die erste Aufführung eines Meisterwerks durch den Virtuosen.

Und zur Zeit ist einer der besten Blickwinkel, von dem aus wir sehr gut erkennen können, wie viel Spaß dieses Abenteuer macht, das Thema Homosexualität und deren Vorkommen im Leben der Kirche.

Ich möchte Ihnen eine Art der Betrachtung dieser Dinge nahebringen, von der ich hoffe, dass sie Ihnen einleuchtet. Und so beginne ich damit zu betonen, dass wir uns in der Gegenwart einer Entdeckung befinden. Und dann möchte ich im Lichte dieser Entdeckung darüber nachdenken, wie wir nun mit dem Weltatlas umgehen, der vor dieser Entdeckung existierte. Denn eine einmal gemachte Entdeckung wird zu einem Dreh- und Angelpunkt, von dem aus man den Übergang der alten Betrachtungsweise der Dinge zur neuen Betrachtungsweise verstehen kann. Anschließend möchte ich die Form des Vakuumsaufzeigen und respektieren, den Raum, von dem die vorherigen Kartografen nichts wussten, und was uns das lehren kann. Abschließend möchte ich dann einige Dimensionen des katholisch geprägten Umgangs mit dieser Spannung zwischen der Entdeckung und dem Vakuum entwickeln.

Entdeckung

Und so zu meinem ersten Punkt. In den letzten fünfzig Jahren machten wir eine wirklich neue menschliche Entdeckung der Art, die die Menschheit nicht allzu oft macht. Eine wirkliche anthropologische Entdeckung: Eine, die keine Modeerscheinung ist oder Wunschdenken; nicht das Ergebnis des Untergangs der Moral oder des Zusammenbruch der Familienwerte. Wir wissen nun etwas über die Menschen, das objektiv wahr ist und das wir vorher nicht wussten: Dass es eine regelmäßig vorkommende, nicht-pathologische Minderheitsvariante des Menschseins gibt, unabhängig von Kultur, Lebensraum, Religion, Bildung oder Brauch, und das wir derzeit „Homosexualität“ nennen. Diese Minderheitsvariante wird natürlich nicht unabhängig von Kultur, Lebensraum, Religion, Bildung oder Brauch gelebt. Wie jede andere menschliche Realität, wird auch sie rein kulturbezogen gelebt, was einer der Gründe dafür ist, dass es in der Vergangenheit so einfach war, sie einfach als Funktion von Kultur, Psychologie, Religion oder Moral zu sehen: als etwas, über das man sich aufregen kann, anstatt als etwas, was einfach da ist.

Wir haben noch eine ganze Menge über diese regelmäßig vorkommende, Minderheitsvariante des Menschseins zu lernen. Wir wissen aber bereits genug darüber, zu erkennen, dass es ein Kategoriefehler ist, über Homosexualität, und übrigens auch über Heterosexualität so zu sprechen, als ob wir damit eine Art Begehren meinen. Man sollte diese Dinge als unterschiedliche Konfigurationen betrachten – die Art, wie wir von Anfang an ausgelegt sind, bzw. unsere feste Anlage, um überhaupt Begehren zu können, und dann die Möglichkeit, dass sich unser Begehren im Laufe der Zeit humanisieren läßt. Erst ausgehend von dieser Konfiguration ist es sinnvoll, darüber zu sprechen, welche Arten des Lebens, der Beziehungen und des Liebens gesund bzw. pathologisch sind. Anders ausgedrückt, die ethischen Fragen entstehen nur daraus, „wie“ diese Konfiguration ausgelebt wird. Das jemand diese oder jene Konfiguration hat ist nur insoweit eine ethische Frage, als jede Minderheit ein gewisses Maß an ethischen Herausforderungen beim Erfüllen ihres Potenzials im Gegenwind des Unverständnisses, der Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit der Mehrheit erfährt.

Nun ist es für uns relativ leicht sich vorzustellen, wie das „eine Entdeckung machen“ funktioniert, wenn es bei dieser Entdeckung um etwas objektiv Neues und Wahres geht, etwas „da draußen“, so wie die Entdeckung eines neuen Kontinents oder einer neuen Tierart. Es ist schon schwieriger, sich eine neuen Entdeckung im anthropologischen Bereich vorzustellen, denn wir sprechen dabei über Dinge, die sich uns durch und innerhalb der bereits bestehenden menschlichen Beziehungsstrukturen erschließen. Das macht die Objektivität und die Wahrheit allerdings nicht weniger wahr und die Auswirkungen einer Entdeckung dieser Art nicht weniger bemerkenswert.

Und trotzdem, ist es Ihnen schon einmal aufgefallen, wie schwer es ist, wenn man etwas als wahr erkannt hat, auch dabei zu bleiben? Ich meine damit einfach einmal einen Schritt zurückzutreten und „Wow“! zu sagen. Einfach zu erlauben, dass sich das Neue für Sie entfaltet, unabhängig von Ihren unmittelbaren Interessen, Ihrer Aufgabenliste, und wie Sie es zu Ihrem größten persönlichen Vorteil und mit der geringstmöglichen Anstrengung mit dem vereinbaren können, was Sie vorher getan haben? Wir sind wohl so ausgelegt, dass wir in Dingen, die wir als wahr erkennen, zunächst immer unsere unmittelbaren Möglichkeiten und Chancen sehen und dass wir die reichere Substanz dessen, was wahr ist, erst einmal zurückstellen, mehr oder weniger sicher, dass, sollte es sich wirklich um die Wahrheit handeln, sich die darin enthaltene Bedeutung sich im Laufe der Zeit schon in uns bemerkbar machen wird, und wenn nicht ja, dann können wir die Sache immer noch bis dahin für uns ausschlachten.

Drei Beispiele mit drei unterschiedlichen Bedeutungsgraden: vor einigen Wochen „outete“ der Blogger-Aktivist Mike Rogers den Lt. Gov. André Brauer aus South Carolina als einen verkappten Schwulen, einen in einer schier unendlich erscheinenden Reihe von Politikern, die dadurch Popularität gewinnen, dass sie in der Öffentlichkeit das anprangern, was sie selbst im Privaten lieben. Was daran so erstaunlich war, war, dass die Frage, ob das was Rogers behauptetwahr war, fast sofort völlig unterging, und das trotz Rogers eindrucksvollen Erfolgsbilanz in diesem Bereich und Brauers klassischen nichts-abstreitenden Abstreitens. Die Angelegenheit wurde sofort ein einem politischen Manöver ausgenutzt, bei dem die Anhänger von Rogers Rivalen Governor Sanford einer Verleumdungskampagne gegen ihn beschuldigt wurden. Anders ausgedrückt: Wen interessiert das schon, ob es wahr ist oder nicht, solange wir es in einem bereits herrschenden Krieg verwenden können!

Noch ernster zu nehmen ist die Tatsache, dass wir genügend Zeugenaussagen von Gesprächen im Weißen Haus direkt nach 11. September 2001 haben um über die erstaunliche Geschwindigkeit Bescheid zu wissen, mit der die Hauptakteure von der Frage „was geschah und warum? “ zur Frage „wie können wir dies bezüglich unserer Pläne für den Irak ausnutzen? “ übergingen. Wieder einmal eine begrenzte Fähigkeit das zu betrachten und darüber nachzudenken, was geschehen war und dessen Bedeutung doch sicher im Laufe der Zeit durchsickern würde, begleitet von der unmittelbaren Fähigkeit, die Chance zu ergreifen, etwas von einer bestehenden Wunschliste voranzutreiben.

Und hier in noch bedeutenderes Beispiel: Denken Sie nur einmal an das Ausmaß dessen, was geschah, als die Europäer im späten 15. Jahrhundert nach Amerika kamen. Die ungeheure Weite und Andersartigkeit dessen zu verstehen, wohin sie aus Versehen gestolpert waren, während sie eigentlich eine schnelle Route nach China und Japan suchten, würde noch Jahrzehnte dauern. Die Perspektive auch des kleinsten Aspekts dessen, wie die Europäer sich selbst sahen, änderte sich radikal angesichts des geologischen, anthropologischen, botanischen, zoologischen und kulturellen „Daseins“ von etwas, das natürlich „immer“ schon da gewesen war, aber von dem die Europäer bis dahin überhaupt nichts gewusst hatten. Aber diese Änderung der Perspektive geschah nicht sofort. Was sofort geschah war: „Wo ist das Gold? Wie können wir diese Entdeckung dazu nutzen, die Interessen der spanischen Krone, des katholischen Glaubens und unserer Familie und Freunde voranzutreiben?“

Das soll nun nicht heißen, dass es gar keine Versuche gegeben hätte zu erkennen, „was da war“ statt einfach zu fragen „wie können wir davon profitieren“. Es gab ein selbstkritisches Element, das Teil der spanischen Eroberung Amerikas war. Menschen wie Bartolomé de las Casas, Bernardino Sahagún und andere, weniger bekannte, gaben heutigen Untersuchungen nach erstaunlich richtige, verständnisvolle und realistische Berichte über die Kulturen ab, die mit ihren Ankommen verschwanden. Sie setzten sich auch im Angesicht der Plünderungen ihrer Zeitgenossen für die Gefährdeten ein. Und es sind diese selbstkritischen Elemente, diese Elemente wahren Lernens aus Erfahrung, die sich als die raren Momente des Ruhms in der Geschichte des europäischen Kolonialismus erwiesen. Nichtsdestotrotz, sogar mit diesen mehr reflektierten und kritischen Beispielen, bestand die einzige Möglichkeit das zu erkennen, was neu und wahr war, einfach da war, darin, dort zu beginnen, wo sie sich befanden, mit all ihren Interessen und ihrer Kapazität, die Gelegenheit auszunutzen.

Genau so verhält es sich auch mit der neuen anthropologischen Wahrheit über das Menschsein bezüglich der Homosexualität. Es dauert eine lange Zeit, bis der „Wow“-Faktor ihrer wahren Dimension, ihrer Form und ihres Umfangs wirklich verstanden wird. Und wie mit allen derartigen Entdeckungen ist die erste Reaktion von uns allen das Ergreifen der Chancen von einer bereits bestehenden Wunschliste. Für manche von uns ist die hervortretende Sache der Homosexualität eine wunderbare Gelegenheit für konservative Politik die Trommel zu rühren, Panik zu verbreiten und einen endlosen Kulturkrieg am Leben zu erhalten. Für andere von uns ist es die Chance, leichter und öfter Sex zu haben. Für manche von uns ist es die Gelegenheit, eine zahme und vergleichsweise anspruchslose politische Anhängerschaft parat zu haben, die wir wirklich auf unsere Seite ziehen können, wenn wir siebrauchen, wobei aber niemals politisch opportun ist, dass wir ihreWünsche erfüllen, wenn sie darum bitten. Für manche von uns ist es eine Gelegenheit, die organisierten Religionen zu bekämpfen. Man kann diese Liste noch fast endlos weiterführen.

Ich möchte allerdings von unserer Tendenz zum Opportunismus etwas abrücken und versuchen, die Form der Entdeckung neuer Erkenntnisse über das Menschsein so zu skizzieren, dass wir erkennen, dass es, wie auch alle anderen Dinge des Menschseins die in sich einfach wahr sind, eine gute Sache für alle Menschen ist. Später möchte ich noch zeigen, warum es eine gute Sache für uns Menschen ist, aber insbesondere auch eine gute Sache für uns Katholiken.

Ich möchte hier aus offensichtlichen Gründen nicht allzu viele Worte darüber verlieren, warum es eine gute Sache für schwule und lesbische Menschen ist. Es mag genügen zu sagen, dass es für die geistige Gesundheit eines Menschen von enormer Bedeutung ist zu entdecken, dass man kein Fehler, kein grausamer Witz ist. Wenn man daran gewöhnt ist, dass einem die anderen sagen, all seine Gefühle seinen falsch, krank, verzerrt, und alle Versuche, die Wahrheit über sein Leben zu sagen seien nichts als Illusionen und Lügen, dann ist die Erleichterung über die Wahrheit gerade so, wie Hans Christian Andersens sie so wunderbar in seiner Geschichte des hässlichen Entleins beschrieb. Jeder, der diese Erleichterung am eigenen Leib erfahren hat, kann sich mit den Worten Papst Benedikts in seiner neuesten Enzyklika Caritas in Veritate identifizieren:

Jeder findet sein Glück, indem er in den Plan einwilligt, den Gott für ihn hat, um ihn vollkommen zu verwirklichen: In diesem Plan findet er nämlich seine Wahrheit, und indem er dieser Wahrheit zustimmt, wird er frei (vgl. Joh 8, 32). Die Wahrheit zu verteidigen, sie demütig und überzeugt vorzubringen und sie im Leben zu bezeugen, sind daher anspruchsvolle und unersetzliche Formen der Liebe. [1]

Diese Entdeckung ist offensichtlich eine gute Sache für die Eltern und Familien derer, die lesbisch und schwul sind, da sie bedeutet, dass die falschen Schuldgefühle, die ihnen auferlegt wurden, nun abgeschüttelt werden können. Oliver wurde nicht schwul, nur, weil Sie ein Auge zudrückten, als er als kleiner Junge mit der Barbiepuppe spielte. Er wäre auch dann nicht heterosexuell geworden, wenn Sie ihn dazu gezwungen hätten, stattdessen mit der Action-Man-Puppe zu spielen. Dass Ihr Bruder oder Ihre Schwester, Ihre Tochter, Ihr Sohn, Ihre Mutter oder Ihr Vater homosexuell ist, ist kein Ehrverlust Ihrerseits. Im Gegenteil, es ist eine Chance für Sie, an der Schöpfung dessen teilzuhaben, was Ehre eigentlich bedeutet, sich über die neue Großfamilie zu freuen usw.

Es gibt noch eine weitere Dimension dieser guten Sache, die ich gerne näher betrachten möchte. Die europäische Begegnung mit Amerika wirkte sich nicht nur auf diejenigen aus, die die Reise unternommen hatten und die, die bereits in Amerika lebten, als die Europäer dort ankamen. Im Laufe der Zeit änderte sie für immer jede Dimension des Lebens auch derer, die zu Hause geblieben waren und die ihrer Nachkommen. Sie änderte die Art, wie die Menschen sich im Raum, in der Zeit und in Bezug auf andere Menschen sahen. Einmal ganz abgesehen von den Pflanzen, Tieren und Mineralien, mit denen sie bekannt gemacht wurden, bedeutete die Existenz eines vormalig unvorstellbaren „Außerhalbs“ der europäischen Welt, dass von da ab jedermann von und innerhalb dieser Welt sich selbst in einem ganz anderen Licht sah.

Genau so fangen wir erst jetzt an in der Lage zu sein zu verstehen, was die Konsequenzen der Entdeckung ist, das die Heterosexualität nicht die normative Form der menschlichen Existenz ist, sondern die Mehrheitliche. Das bedeutet, dass es zwar richtig ist zu sagen, dass die menschliche Reproduktion ansich eine Sache der zwei Geschlechter ist, und dass die Mehrheit der Menschen heterosexuell sind, dass es aber nicht richtig ist zu behaupten, dass alle Menschen ansich heterosexuell sind. Und dies hat bedeutende Folgen für das Verständnis der Beziehung zwischen den Gefühlen, den sexuellen und reproduktiven Aspekten derer, die in der Tat heterosexuell sind. Wenn es Menschen gibt, bei denen als normale und nicht-pathologische Minderheitsvariante die emotionalen und sexuellen Aspekte des Lebens nicht mit dem reproduktiven Element verknüpft sind, dann ist die Verknüpfung zwischen dem möglichen reproduktiven Aspekt und den emotionalen und sexuellen Aspekten in denen, bei denen diese Aspekte in der Tat miteinander verbunden sind, etwas anderer Art, als man sich das bislang vorstellte. Wir sprechen von etwas aus der Sphäre des Freien, des Absichtlichen und des Bewussten, nicht des Mechanischen, des Schicksalhaften. Die Beziehung zwischen dem, was schlicht und einfach „biologisch“ ist und dem, das humanisiert werden kann, hat sich verändert.

Anders ausgedrückt, heterosexuell zu sein wird nun viel interessanter, unterschiedlicher und in manchen Aspekten auch schwieriger. In manchen Aspekten wird es unglaublich viel leichter und weniger furchterregend als vorher. Das Spannende dabei ist, dass die herkömmlichen Schablonen und Identitäten viel leichter ad acta gelegt werden können. Es wird bunter, da gibt es eine ganze Reihe persönlicher Stile und verschiedene Arten miteinander in Beziehung zu treten, die erblühen können, ohne die Angst, dass dieser oder jener Zug mich auf mal als „einen von denen“ verdächtig macht, da es ganz klar ist, dass „einer von denen“ zu sein in der überwiegenden Mehrheit der Fälle etwas ist, das man entweder ist oder nicht ist, ganz abgesehen von seinem persönlichen Stil und seinen Charakterzügen, und dass es in jedem Fall sowieso völlig in Ordnung ist. Heterosexuell zu sein wird gleichzeitig viel schwieriger, da es keine natürliche Art zu leben mehr gibt, kein sich verlieben, heiraten, Kinder haben, einfach weil „die Dinge eben so sind“. Etwas, dem jeder einfach folgen kann, und wobei man dann erstaunt und völlig zerstört ist, wenn die ganze Chose in sich zusammenfällt und auf mal so kompliziert zu sein scheint. Statt dessen ist es von Anbeginn klar, dass all diese anscheinend „natürlichen“ Dinge von einer Welt als selbstverständlich angesehen werden, in der man davon ausgeht, das Heterosexualität das zu lernende Normative ist, mit dem man umgehen muss und wofür man die angemessenen Fähigkeiten und Gewohnheiten entwickeln kann. Die Humanisierung des Begehrens ist ein mühsames Unterfangen, von dem kein einziger Mensch ausgenommen ist.

Gleichzeitig wird das Heterosexuell sein auch unverhältnismäßig einfacher, da die verschiedenen Formen der gleichgeschlechtlichen Liebe zwischen Menschen, die nicht schwul sind – ein enorm bedeutender Teil des Lebens aller Menschen – nicht mehr ein Schauplatz von Angst und Verdacht sein müssen. Frauen zeugen viel leichter als Männer davon, dass es eine ganze Reihe gesunder und leidenschaftlicher Formen der Liebe, Zärtlichkeit, Freundschaft und Körperlichkeit zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen gibt, die von der sexuellen Ausrichtung ganz unabhängig sind. Ein heterosexueller Mann der sich in einen anderen Mann verguckt, ist nicht gleich jemand, der auf dem Weg zur Homosexualität ist. Er ist ein heterosexueller Mann, der sich in einen anderen Mann verguckt hat, und derartige gleichgeschlechtliche Zuneigungen sind bedeutende Bausteine des normalen menschlichen Zusammenseins. Er kann sich sogar in einen Mann vergucken, der schwul ist, wenn beide sich gelassen darüber bewusst sind, dass mit dieser Liebe keine erotischen Assoziationen und Komplikationen einhergehen. Diese Dimensionen der Liebe müssen aufgearbeitet werden, wenn sich die Formen der Bindung zu „Omerta“ bzw. Gruppendenken entwickeln, und es besteht natürlich die immerwährende Gefahr der Eifersucht und Rivalität, die hinter jeder liebenden Beziehung lauern. Derartige Dinge haben jedoch nichts mit dem Schwulsein zu tun und es ist eine große Erleichterung für alle Beteiligten, wenn sie diesen Gefühlen Ausdruck geben und sie analysieren können, ohne missverstanden zu werden.

Wir befinden uns wieder einmal in den Frühstadien der Entdeckung, was die Konsequenzen unseres neuen Wissens für diese grundsätzlichen Formen des menschlichen Zusammenseins sein werden, und ich möchte nicht vorgeben, viel mehr vorhersagen zu können. Bislang sind die Zeichen jedoch ermutigend. Was ich allerdings noch weiter ausleuchten möchte ist der hochinteressante Aspekt, wie dies die Kirche betrifft und betreffen wird. Lassen Sie uns also einen Blick auf den Weltatlas werfen, den diese Entdeckung produziert.

Weltatlas

Es war einmal, vor nicht allzu langer Zeit, als laute Stimmen aus Rom mit ihren örtlichen Verstärkern Menschen wie uns erzählten, dass die einzige akzeptable Form der Diskussion über und der Pastoralarbeit mit schwulen und lesbischen Menschen streng der Wahrheit gemäß zu erfolgen hatte, und dass diese Wahrheit richtigermaßen in den Lehren der römischen Kongregationen dargelegt sei. Diese Wahrheit stellte sich heraus als: „die spezifische Neigung der homosexuellen Person ist zwar in sich nicht sündhaft, begründet aber eine mehr oder weniger starke Tendenz, die auf ein sittlich betrachtet schlechtes Verhalten ausgerichtet ist. Aus diesem Grunde muss die Neigung selbst als objektiv ungeordnet angesehen werden.“ [2]

Wenn wir alle Relativisten wären, Menschen, die der Meinung sind, dass es keine echte Wahrheit gibt, dass die Dinge nur einfach nach Gutdünken der Einzelnen „wahr“ sind, dann könnten wir es dabei belassen. Wir könnten sagen: „Tja, so ist es. Dies, die derzeitige Definition der römischen Kongregationen, dies ist die Wahrheit der Kirche. Wenn es Ihnen nicht gefällt, dann gehen Sie doch einfach zu einer Kirche, deren „Wahrheit“ Ihrem Temperament besser zuträglich ist.“ Interessanterweise lehrt die gleiche Kirche, deren anscheinende „Wahrheit“ in diesem Bereich ich eben für Sie zitierte eindeutig, dass Relativismus falsch ist, dass es etwas gibt, dass von unserer Perspektive und Wunschliste gänzlich unabhängig wahr ist, und dass diese Wahrheit sich gewissermaßen uns auferlegt. Anders ausgedrückt, die Autoritäten, die uns sagten, dass wir ihr Verständnis der homosexuellen Neigung akzeptieren müssten, weil es wahr ist, sagen glücklicherweise auch, dass die Wahrheit nicht von ihnen abhängt und dass sie und ihre Lehren dem gegenüber empfänglich sind, was als objektiv wahr entdeckt wird, aus welchem Bereich auch immer diese Entdeckung stammen mag.

Lassen Sie uns also zu deren Definition zurückkehren. Wären wir Relativisten, so könnten wir diese Definition als eine rhetorische Leistung interpretieren, die, wenn sie behauptet dass „die Neigung selbst als objektiv ungeordnet angesehen werden muss“ damit keineswegs eine harte Wahrheit verkünden will, die einen Einfluss darauf hat, was wir über die Realität schwuler Menschen wissen. Wären wir Relativisten, könnte diese Definition nicht durch wissenschaftliches Lernen über die nicht-ungeordnete Natur der homosexuellen Neigung widerlegt werden. Es wäre schlicht und einfach eine „philosophische“ Bemerkung, eine Art, das dreifach mit löschfestem Markierstift zu unterstreichen, was man wirklich sagen möchte, nämlich alles homosexuelle Verhalten als Sünde ansich zu verurteilen.

Wenn wir allerdings den Lehren der Kirche treu bleiben und den Relativismus ablehnen, dann müssen wir die Definition so interpretieren, dass sie davon abhängt, dass etwas wirklich wahr ist, als etwas, das eine darunterliegende Wahrheit aufruft, die hier verteidigt wird. Denn die Behauptung, dass etwas objektiv ungeordnet ist legt nahe, dass dahinter etwas steht, das objektiv geordnet ist, von dessen Ausgangspunkt aus man das Ungeordnete feststellen kann. Die hinter dieser Definition stehende Wahrheitsbehauptung ist, dass alle Menschen allein aufgrund ihres Menschseins ansich heterosexuell sind und dass es für Menschen eine einzigartige angemessene Ausdrucksform der sexuellen Liebe gibt, nämlich die Ehe, die der Möglichkeit der Fortpflanzung geöffnet ist. Es ist diese Annahme der Heterosexualität als das Normative für alle Menschen und die dazugehörende Güte der sexuellen Liebe in der Ehe, die die Schlussfolgerung zulässt, dass diejenigen mit homosexuellen Neigungen objektiv ungeordnet sind, dass sie in der Tat defektive Heterosexuelle sind und dass sexuelle Beziehungen zwischen solchen Menschen in dem Maß als fehlerhaft zu verurteilen sind, in dem sie von denen zwischen verheirateten Heterosexuellen abweichen.

Was sich allerdings in den vergangenen zwanzig Jahren mit immer größerer Klarheit herausstellte, ist dass die die Lehre der römischen Kongregationen in diesem Bereich untermauernde Behauptung nicht wahr ist. Es ist nicht wahr, dass alle Menschen ansich heterosexuell sind und dass die, die nicht heterosexuell zu sein scheinen, tatsächlich defekte Heterosexuelle sind. Es gibt für diese Sichtweise keinerlei seriöse wissenschaftliche Belege mehr: weder psychologischer noch biologischer, genetischer, medizinischer oder neurologischer Art. Die Entdeckung, von der ich vorhin sprach, untermauert von einer Fülle von Beweisen, dass es in allen Kulturen einen kleinen aber regelmäßig vorkommenden Anteil an Menschen gibt, irgendwo zwischen drei und vier Prozent, die grundsätzlich zu Menschen ihres eigenen Geschlechts hingezogen sind. Zudem gibt es keine Pathologie psychologischer oder physiologischer Art, die unvermeidbar mit dieser Art der festen Anlage in Zusammenhang steht. Sie ist kein Laster und keine Krankheit. Sie ist einfach eine regelmäßig vorkommende Minderheitsvariante der menschlichen Spezies.

In Fairness zu den römischen Kongregationen muss gesagt werden, dass sie bei der Formulierung der von mir zitierten Definition nichts weiter taten, als das auszudrücken, womit die große Mehrzahl der menschlichen Weisheitsquellen in der vorhergegangenen Jahrhunderten übereingestimmt hätten. Ihre Definition wäre nicht mehr schockierend gewesen als ein europäischer Weltatlas von 1491, der eine Globusform aufzeigte, mit nichts als einigen Meeresungeheuer zwischen den westlichsten Gegenden Europas und den östlichsten Stränden Asiens. Es wäre einfach eine Weltkarte, die von der Existenz Amerikas nichts wusste. Einer Karte, deren Kartograf vielleicht von uralten Erzählungen von Nordeuropäern in kleinen geflochtenen Ruderboten oder von Longboats der Wikinger gehört hatte, die es bis zu dem gebracht hatten, was wir heute Kanada nennen, der dies aber als Kneipenprahlerei abtat, als etwas, was man unmöglich verifizieren konnte.

Eine amerikalose Karte aus 1526, dem Jahr in dem die Agenten der spanischen Krone Universitäten in Mexiko City und Lima gründeten, wäre allerdings etwas kurios gewesen. Sie wäre ein Zeichen dafür, dass jemand entweder nichts von den Ereignissen der letzten 35 Jahre mitbekommen hätte, oder dass jemand so störrisch war, sich zu weigern, diese Realität als Wahrheit anzuerkennen und sich lieber für seine private Realität entschied. Zukünftige Generationen werden in einer besseren Lage sein zu beurteilen, ob die von mir zitierte Definition der römischen Kongregationen aus dem Jahr 1986 eher einer späten aber ehrlichen Ausgabe einer Karte von 1491 ähnlich ist, oder ein verblendeter Versuch, im Jahr 1526 so zu tun, als ob etwas schlicht und einfach nicht existierte. Jetzt, im Jahr 2009, herrscht noch größere Klarheit: die alte Definition was ein Irrtum. Der Versuch, an einem Fehler lange nachdem er sich als falsch herausstellte festzuhalten ist entweder ein Zeichen des Irrtums oder der Verlogenheit.

Es ist nicht nur so, dass die Weltkarte von 1491 so weit wie möglich richtig war, aber bestimmte Informationen einfach nicht hatte. Wenn sie nach 1526 noch ernsthaft glaubten, dass es sinnvoll sei, mit einer Karte von 1491 zu navigieren, hätten Sie so vieles von dem, was sich in der Zwischenzeit bezüglich der Schiffe, Segel, Winde, Sterne, Distanzen usw. geändert hat verpasst, dass Sie sich besser nicht weit vom Ufer weg wagen sollten. Der technische Fortschritt hätte es noch viel gefährlicher gemacht, weiterhin aufgrund einer Karte von 1491 zu navigieren, da Ihr Schiff inzwischen weiter segeln konnte und mehr tun konnte, so dass Sie als Konsequenz Ihrer absichtlichen Ignoranz viel verletzlicher geworden wären. Es ist nicht so, dass sich die Kartografen von 1491 mit Blick auf die Erkenntnisse von 1526 als Lügner, Betrüger oder Dummköpfe erwiesen hätten. Aber mit der Entdeckung änderte sich der ganze Rahmens der Erkenntnis über das, was wirklich existiert und was die Menschen dank dieser Erkenntnis erreichen können. Die Entdeckung von etwas ganz Neuem entpuppte sich als Dreh- und Angelpunkt in dessen Licht eine ganze Reihe von Arten des Wissens sich für die sich neu entwickelnden Aufgaben als unzulänglich erwiesen. Kritisches Selbstlernen über, z. B. die Navigation und Kartografie wurden möglich und stärkten beide Disziplinen ungemein.

Der Dreh- und Angelpunkt und das Vakuum

Ich möchte die Behauptung aufstellen, dass wir dabei sind, uns über einen objektiven Dreh- und Angelpunkt einer neuen anthropologischen Erkenntnis bewusst zu werden, die ein sehr anreichernder Ort des Lernens darüber wird, was es bedeutet, katholisch zu sein. Denn der Dreh- und Angelpunkt der neuen Erkenntnis ermöglicht es uns, das Vakuum auf den vorhergehenden Weltkarten zu beschreiben. Lassen Sie mich dieses Vakuum erklären. Davon ausgehend, dass die ganze kirchliche Lehre in diesem Bereich von der kirchlichen Lehre über die Ehe abhing und von ihr ausging, und dass diese auf der Annahme der Heterosexualität aller Menschen ansich basierte, ist es fair zu sagen, dass die Kirche überhaupt nichts über eine Wirklichkeit zu sagen hat, von der ihre Lehrer nichts wussten. Es ist daher richtig ausgedrückt wahr zu sagen, dass, allen Anscheins entgegen, die katholische Kircheüberhaupt keine Lehre über die Homosexualität hat.

Wenn das unwahrscheinlich klingt, dann lassen Sie uns eine Analogie betrachten: Lassen Sie uns einmal annehmen, dass die nördlichen Zoologen seit langem von der Existenz der Pferde wissen, und dass sie wissen, wie wichtig diese sind und wie wichtig es ist, sie zu schützen. Lassen Sie uns auch annehmen, dass sie aus Erzählungen von Afrikareisenden von einem gefährlichen, schwer auffindbaren pferdeähnlichem Tier erfahren, das auf der Stirn ein einziges Horn hat. Das klingt mythologisch und so lehren sie gegen dieses Geschöpf und erklären, dass es keine Einhörner gibt und dass alle Tiere, die dazu geneigt sind, sich für Einhörner zu halten, sich von ihren Wahnvorstellungen lösen und sich wie ein Pferd verhalten sollten. Lassen Sie uns annehmen, dass noch später einige unerschrockene Forscher tatsächlich das vierbeinige Säugetier entdecken, dass in der Tat ein Horn auf der Stirn zu haben scheint: sie haben das Nashorn entdeckt. Es wäre nun richtig zu sagen, dass vormals nicht-afrikanische Zoologen überhaupt keine Lehre über die Nashörner hatten. Ihr Versuch, das aufgeschnappt Geschwätz über das, was sich als Nashorn herausstellte mittels eines erdichteten Einhorns in die Kategorie der Pferde einzureihen ist fast so fehlerhaft, wie eine Weltkarte aus 1491, auf der dort, wo heute Amerika zu finden ist, Meeresungeheuer verzeichnet sind.

Nun sehen Sie nur einmal, wie viel Spaß diese Sache macht: Hier stehen wir am Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts, einer Periode in der wir uns gut noch in den Frühstadien der Kirchengeschichte befinden könnten, und einem Christentum, dass gut noch eine junge Religion sein könnte, worauf Papst Benedikt zu Beginn seines Pontifikats hinwies. Und wir haben einen Bereich echter menschlicher Anthropologie entdeckt, über den die Kirche in einem völligen Vakuum lehrt. Starke, aus der Lehre über Pferde entwickelte Überzeugungen über Einhörner sagen uns schlicht und einfach nichts über Rhinozerosse. Wir haben hier also eine wunderbare, wunderbare Gelegenheit, „hurra zu rufen. „Gerade rechtzeitig!“ Genau in dem Moment als es offensichtlich wurde, dass die ganze Art über das Menschsein zu sprechen, die die offizielle Kirchenlehre die meiste Zeit zwischen dem apostolischen Zeitalter und jetzt verfolgte, in großen Schwierigkeiten ist, haben wir jetzt endlich einen objektiven Dreh- und Angelpunkt, von dem aus wir ausarbeiten können, was es bedeutet, katholisch zu sein. Und mit objektiv meine ich etwas, das einfach da ist, wahr, und wovon man nicht mehr zurücktreten kann, wenn es erst einmal entdeckt wurde. Wir sprechen hier nicht von einem inkrementellen moralischem Argument der Art, in der die Moraltheologie normalerweise funktioniert und das in diesem Fall z. B. bedeuten könnte, dass eine allmähliche Entwicklung immer besserer Navigationsinstrumente es den portugiesischen Seglern des fünfzehnten Jahrhunderts ermöglichte, sicherer weiter vom Nordwesten der Afrikaküste zu segeln und sich dabei weiterhin in einem amerikalosen Universum zu befinden.

Nein, statt dessen sehen wir uns mit der Tatsache konfrontiert, dass wir etwas objektiv Wahres über das Menschsein entdeckt haben, das zu einer Neufassung unserer Atlanten führen wird. Auf genau die gleiche Art, auf der die Entdeckung Amerikas bedeutete, dass die Strömungen und Wetterlagen der Atlantikküsten von Afrika und Europa eine völlig andere Erklärung hatten, und zu wissen, dass man die Wasser auf ganz andere Art navigieren konnte, wenn man erst einmal wusste, dass sich hinter ihnen eine riesige Landmasse befand.

Ich bin der Meinung, dass der Spaß darin liegt, Katholizität aus diesem Lernprozess heraus zu entdecken, genau so, wie es auch gar nicht anders sein sollte. Anstatt zu glauben, dass Gott vor langer Zeit etwas Geringfügiges tat und dass wir an diesem immer brüchiger werdenden Schutzschild festhalten müssen, um davon zu profitieren, können wir uns in die Entdeckung hinein entspannen, dass Gott vor langer Zeit etwas ungemein Großes tat und dass er das auch weiterhin noch tut, und dass wir hier auf riesengroßen Wellen reiten, die weiterhin daraus in enorm kreativen Formen draus hervorgebracht werden.

Ein weiterer Aspekt dieser großen Sache ist dass sie, glücklicherweise, keine Funktion von uns selbst ist. Und das Beste dabei ist, dass die objektive Wahrheit, sosehr wir auch versuchen mögen sie zu einer Sache der Rivalität zu machen, letztendlich eine rivalitätsfreie Zone ist. Keine noch so große Kabbelei kann daran auch nur das Geringste ändern. Keine noch so intensiven ideologischen Streitigkeiten, Karrieresprünge, Änderungen des Grundgesetzes oder bischöfliches Navigieren der politischen Landschaft mit Atlanten von 1491 zur Rettung der Pferdeehe vor der Bedrohung durch ungehorsame Einhörner. Was ist, ist wirklich.

Ich möchte dies hier stark betonen: in einem Ideologiestreit muss man mit Menschen debattieren und sich mit ihnen streiten, damit diese oder jene Sichtweise der Dinge sich durchsetzt. Denn bei dem Streit geht es letztendlich um die Autorität und das Prestige des Sprechenden. Hier liegt jedoch etwas vor, das wahrlich unabhängig von den Positionen und der Autorität der Sprechenden ist. Was bedeutet: seine Wahrheit hängt nicht von uns ab, wir müssen deshalb wegen ihr nicht zu Rivalen werden. Und das hat etwas wunderbar Befreiendes in sich.

Denken Sie nur daran, wie unsere religiösen Autoritäten versuchen, uns Katholiken in den verschiedenen Ländern gegen die gleichgeschlechtliche Ehe zu mobilisieren. Wenn es keine neue Entdeckung gegeben hätte, dann ginge es hier nur um einen Streit über die Autorität der Sprechenden. Da allerdings etwas entdeckt wurde, das unabhängig der unserer Positionen wahr ist, kann man sich in dem Moment, in dem einen dies klar wird, mit den Begehren der Autorität der verschiedenen Kanzeltyrannen auf ganz andere Art umgehen. Der Realisierung, dass das war wahr ist, uns von dieser Art der Streitigkeiten befreit haftet eine gewisse Sauberkeit und eine Freiheit an. Jemand, der seine anscheinende Autorität dazu nutzt, etwas zu lehren, das nicht wahr ist, oder dessen Prämisse etwas ist, das nicht wahr ist, tut nicht nur Ihnen weh, sondern er tut auch sich selbst keinen Gefallen. Er zerstört nämlich seine eigene Autorität. Es wird für alle Beteiligten immer offensichtlicher, dass er sich wie die Gilde der Urheberrechtsbesitzer der Weltkarte von 1491 verhält: verzweifelt bemüht, die Menschen mit etwas bei der Stange zu halten, das sein eigenes Prestige verstärkt, da er spürt, dass dieses Prestige langsam verschwindet, seit die Menschen zu erkennen begannen, dass diese Karte einfach nicht mehr ausreichend ist. Die einzige Frage, die sie sich interessanterweise stellen könnten, wenn sie sich nur trauten, wäre: „Wenn wir unserem Mandat mit Autorität und aus der Wahrheit heraus zu sprechen getreu bleiben wollen, wie können wir dann unser Verständnis dem anpassen, was sich hier als wahr herausstellt?“ Denn ist es ja so, dass niemand mit Autorität lehrt, der nicht nachweislich einen Lernprozess mitgemacht hat.

Wenn wir uns diese Funktionäre einmal nicht als Menschen vorstellen, zu denen wir in Rivalität stehen, sondern als Menschen, die mit Blick auf eine sich abzeichnende neue Wahrheit mit einer schweren Aufgabe zu kämpfen haben, können wir ihnen viel mehr Sympathie entgegenbringen, ohne uns auf ihre Falschheiten einzulassen. Denn das Vakuum ist ja eine Realität. Sie haben keinen automatischen Mechanismus, um mit einer derartigen Entdeckung umzugehen, die ihre und unsere Welt verändert. Es gibt schlicht und einfach keine feste Tradition der katholischen Diskussion oder Lehre über die menschliche Liebe und Partnerschaften, die nicht auf der Annahme einer universellen Heterosexualität und der Güte der Ehe aufbaut. Und jeder unserer Funktionsträger, der über die neue Realität auf eine Art spricht, die sie anerkennt, und der erkennt, dass aus ihre etwas möglicherweise Gutes fließen kann, das betrachtet werden muss, tut dies ohne jede Unterstützung seitens der herkömmlichen Quellen – patristischer Texte, Konzilsdekrete, Unterstützung der Bischöfe, päpstlicher Aussprüche. Es gibt keinen offensichtlichen Präzedenzfall. Der Dreh- und Angelpunkt der neuen Realität zeigt das Vakuum der alten Realität auf.

Die Spannung

Und hier sind nun wir alle gefragt. Wir stehen vor einer Situation, für die die kirchlichen Autoritäten keinen Präzedenzfall haben, und wenn wir der Versuchung, zu ihren Rivalen zu werden widerstehen können, anstatt sie dort zu sehen, wo sie einfach stecken geblieben sind, mit gnädigen Augen, dann können wir uns dem zuwenden, was am Katholisch sein so richtig Spaß macht. Es ist die Realisierung, dass es beim Katholisch sein nicht, wie unsere mehr verängstigten Vertreter proklamieren, darum geht, sich komme was da wolle an ein Bündel von Definitionen zu klammern, sondern darum, eine spezifische katholische Art der kreativen und erforschenden Navigation einer sich enorm verändernden Welt zu erlernen. Das Katholisch sein liegt viel mehr im „wie“, als im „was“. Und das ist etwas, was Papst Benedikt vor kurzem in seiner Lehre auf mehr oder weniger subtile Art betonte. In dem Moment in dem man zum Beispiel erkennt, was er in der EnzyklikaCaritas in Veritate über die Beziehung zwischen Wahrheit und Barmherzigkeit sagt [3], erkennt man, dass etwas, das von sich behauptet wahr zu sein, aber nicht barmherzig ist, nicht wirklich wahr ist. Genau so, wie etwas, das von sich behauptet, liebend zu sein, aber nicht auf der Wahrheit basiert, nicht wirklich Liebe ist. Der Katholizismus ist in der Bewahrung der Spannung zwischen dem was wahr ist und dem was liebend ist zu finden, was uns dann in die Entdeckung dessen führt, was wirklich wahr ist und wie man wirklich liebend sein kann. Einer Spannung, in der wir zu etwas gezogen werden, das größer und menschlicher ist, als wir selbst.

Ein weiterer Aspekt dieser Form des katholischen „Wies“ ist die Art, auf die Benedikt wiederholt betonte, wie Glaube und Vernunft sich gegenseitig läutern. Es ist nicht etwa so, dass der Glaube uns eine Liste von Dingen vorlegt, die man unabhängig von der Realität für wahr halten muss. Es ist im Gegenteil so, dass der Glaube es uns ermöglicht, keine Angst davor zu haben, zum Innewohnen einer Welt angezogen zu werden, die um so vieles größer ist, als wir uns hätten vorstellen können. Der Glaube ermuntert uns dazu, unserer Vernunft walten zu lassen, denn er ermöglicht es uns darauf zu vertrauen, dass im Laufe der Zeit und durch gerade diese Nutzung unserer Vernunft, Gott uns zeigen wird, was wahr ist und auf welche Art es gut für uns ist. Tatsächlich scheint Benedikt sich mehr als sowohl seine Anhänger als auch seine Kritiker erlauben wollen, still darüber bewusst zu sein, dass es seine Aufgabe ist, die Menschen daran zu erinnern, dass die Katholizität in der Form der Parameter der Veränderung liegt, der wir uns gemeinsam unterziehen.

Das scheint mir unsere derzeitige Herausforderung zu sein, und ich betone weiterhin, dass es für mich eine Spaß bringende Herausforderung ist: wir müssen uns trauen, Katholiken zu sein, nicht in Rivalität mit unseren Amtsinhabern, dankbar, dass sie da sind und uns bewusst, dass sich ziemlich festsitzen, aber erfreut, dass wir damit anfangen können, die Konturen der neuen Entdeckungen über das Menschsein, die mit dem Wort „homosexuell“ im Zusammenhang stehen, anzunehmen. Erlauben wir uns also, zur Entdeckung befugt zu sein, inwieweit Gott so viel mehr für uns ist, als wir uns das vorgestellt hatten, dass Gott wirklich möchte, dass wir frei und glücklich sind, und dass wir uns an dem erfreuen, was wahr ist, während wir uns nach den schwächsten und verletzlichsten unserer Brüder und Schwestern ausstrecken und neben ihnen stehen, wo immer wir sie finden? Erlauben wir es uns, das Potenzial der Katholizität zu entdecken, die sich die Entdeckung eines neuen Reichtums in der Schöpfung begleitend auftut, eines Reichtums, der mit dem kleinen Wort „homosexuell“ schillert?

São Paulo, Lancaster PA, Fairfield CT,Las Vegas NV.

Endnoten

[1] Absatz 1.

[2] Homosexualitatis Problema, CDF 1986, Absatz 3.

[3] Absätze 2-4.


© 2009 James Alison. Translation by Erika Baker